Mori-Ôgai-Gedenkstätte Berlin / ベルリン森鷗外記念館・ベアーテ・ヴォンデ

IKEZAWA Natsuki: Aufstieg und Fall des Macias Guili

IKEZAWA Natsuki las aus seinem Roman „Aufstieg und Fall des Macias Guili“, Moderation: Dr. Jürgen Schebera / Beate Weber, 2. 10. 2002 (Unterstützung des Verlags edition q und der Botschaft von Japan).


„Wie gewisse Speisen oder Menschen des anderen Geschlechts sind auch Staaten am schmackhaftesten, wenn sie ihre Blützeit geringfügig überschritten haben.“

Lesung und Gespräch Ikezawa Natsuki

Stünde über dem Titel des Buches nicht der Name eines Japaners, würde man meinen, dieser bildreiche, sinnenfreudige Roman voller Intrigen und heilsamer Mythen sei der Feder eines lateinamerikanischen Schriftstellers à la Gabriel García Márquez entsprungen. Tatsächlich fühlt sich IKEZAWA Natsuki dem magischen Realismus verpflichtet und hält sich im Sinne von Thomas Mann, den er außerordentlich verehrt, für einen unpolitischen Schriftsteller, der keine japanische Literatur schreibt, wie er in einer Lesung in der Mori-Ogai-Gedenkstätte zu Semesterbeginn betonte. Sein Roman ist alles andere als unpolitisch und er ist in dem Sinne sehr wohljapanisch, wie nur ein Japaner, der lange Zeit im Ausland gelebt hat, sein eigenes Land aus der Draufsicht humorvoller Distanz kritisch beschreiben kann. Im Mittelpunkt dieses verästelten politischen Thrillers steht der Präsident der Demokratischen Republik Navidad: Macias Guili. Es war gerade Heiligabend, als die spanischen Missionare die Weihnachtsinseln entdeckten, und so stammt Macias von dem christlichen „Matthias“ und Guili ist eine Adaption des japanischen „giri“ – Pflicht, Pflichterfüllung, was die japanische Seite in ihm hinreichend charakterisiert. Der Präsident ist unehelicher Sohn einer Ureinwohnerin und eines japanischen Geschäftsmannes, lebte einige Zeit in Japan, kann dank der Einführung von Cup-Noodle-Suppen auf der Insel ein Imperium errichten, wird Diktator, indem er seinen einzigen Rivalen zwischen zwei Amtsperioden umbringen lässt und ist am Ende ein toter Mann, weil die Ältesten der Insel ihm das Vertrauen entziehen. Viel Spielraum hat der Präsident einer so kleinen Republik nicht, in der es nur einen Helicopter gibt und die Fahrzeuge ständig kaputt sind aus Mangel an Ersatzteilen, wo die Menschen sich über politische Witze innerlich oder mit Hilfe spiritueller Kräfte aus der Bedrängnis diktatorischer Verhältnisse befreien. Im Gegensatz zu seinem amerikafreundlichen Rivalen entscheidet Guili sich für ein Bündnis mit den Japanern. Erster Akt dieser beginnenden Liaison soll die Ankunft einer japanischen Delegation zu Befriedung der Totenseelen auf der Insel sein. Die militanten Betonköpfe dieser Gruppe fallen nicht nur durch die einheitliche Kleidung und das disziplinierte Verhalten auch bei äußerster Hitze auf, sie kommen gar nicht auf die Idee, dass unter der Inselerde auch andere als ihre eigenen Toten liegen könnten. Das aktiviert die Geister der Insel. Sie entführen den Bus kurzerhand, der ab und zu unter Wasser, in der Luft, im Aquarium als Geisterbus durch das Geschehen mäandert. Am Ende entsteigen die Japaner gleichsam verjüngt und glücklich dem Bus, sie haben die Schönheiten der Insel und die Gastfreundschaft ihrer Bewohner genossen, ihre Paradigmen schlicht vergessen. Auch sonst sind die Geister von längst Verstorbenen sehr hilfreich. Einer sorgt dafür, dass ein japanischer Beamter den Präsidenten über die wahren Absichten der Japaner aufklärt. Ein anderer ist sein nächtlicher Berater. Über Gespräche mit ihm, Geschichten, Mythen entführt Ikezawa uns zu einer Lesereise durch Jahrhunderte, Kontinente und Kulturen, eine poetische Reise voll sinnlicher Erotik und vor allem: voll befreiendem, verständnisvollem Humor.

lkezawa wurde 1945 auf Hokkaido im Norden Japans geboren. Nach abgebrochenem naturwissenschaftlichem Studium zog es ihn in wärmere Gefilde. Er lebte einige Jahre in Griechenland, hat die Welt bereist und wohnt derzeit im südlichen Okinawa. In Japan hat Ikezawa bereits alle wichtigen Literaturpreise erhalten. Hierzulande ist er so gut wie unbekannt. Sollten wir ihm wünschen, dass Herr Reich-Ranitzki zufällig die ausgezeichnete Übersetzung seines Werkes in die Hand bekommt und ihn, wie im Falle von Murakami Haruki für einen bedeutenden“chinesischen“ Schriftsteller hält, damit man auch hierzulande auf dieses Stück Weltliteratur aufmerksam wird?

Ikezawa Natsuki: Aufstieg und Fall des Macias Guili. Roman. Aus dem Japanischen von Otto Putz, edition q im Quintessenz Verlag, Berlin 2002. ISBN 3-86124-540-X, Preis: 29,70 Euro

"Ikezawa Natsuki. Aufstieg und Fall des Macias Guili" in Humboldt 2, 2002:03, S. 10
„Ikezawa Natsuki. Aufstieg und Fall des Macias Guili“ in Humboldt 2, 2002/03, S. 10

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