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Cottbuser Orient-Teppich für Japans Kaiser

Vor 120 Jahren knüpfte die Teppichfabrik O. Prietsch ein Prunkstück für den Thronsaal. Lausitzer Rundschau 22. Juni 2007.

Cottbuser Orient-Teppich für Japans Kaiser – Vor 120 Jahren knüpfte die Teppichfabrik O. Prietsch ein Prunkstück für den Thronsaal

Deutsche Industrie in Japan. Wie uns aus Kottbus geschrieben worden ist, gelangte daselbst am jüngsten Sonnabend Nachmittag und Sonntag Vormittag in der O. Prietschschen Teppichfabrik ein für den Kaiser von Japan bestimmter Thronsaalteppich zur Ausstellung. Vier Jahre hindurch hatte die bekannte Firma Heymann in Hamburg mit Japan in Unterhandlung gestanden, bis ihr endgültig die Ausstattung von 98 Zimmern des Kaisers, wovon jedes einzelne ein Gebäude für sich darstellt, gegen eine Pauschalsumme von 1 3/4 Millionen Mark überwiesen wurde. Die oben genannte Firma schwankte anfänglich, ob sie die Anfertigung der für den Thronsaal, für das Antichambre, für Salon, Boudoir und Empfangszimmer in Aussicht genommenen 6 Smyrnateppiche nicht einer Pariser Firma übertragen solle. Sie entschied sich jedoch für die inländische Fabrikation und wählte die Prietschsche Fabrik, die schon seit dem Jahre 1874 speziell und ausschließlich in Deutschland das Gebiet der Smyrna-Teppichfabrikation pflegt. Es ist schwer, die gewaltigen Dimensionen des Thronsaalteppichs sich zu vergegenwärtigen, wenn man nicht selbst gesehen, und das Zahlenmaterial, welches wir bringen, wird von dem Kollossalfabrikat nur eine schwache Vorstellung zu bilden im Stande sein. Er hat einen Flächeninhalt von 150 Quadrat-Metern — während der Thronsaal einen solchen von 200 Quadrat-Metern umfaßt — und respräsentirt ein Gewicht von 12 1/2 Centnern. In dem Teppich befinden sich 5 Millionen Knoten, und das Ganze ist nicht etwa ein Werk von athemlos arbeitenden Maschinen, sondern — und darin liegt eben das auszeichnende und Großartige — ein Produkt von Handarbeiterinnen. 87 der geschicktesten von den 222 in der Fabrik arbeitenden Knüpferinnen waren mit der Herstellung des Teppichs für den fremden Herrscher betraut worden; 19 derselben arbeiteten bei Tage, 18 bei Nacht unausgesetzt, und dem emsigen Fleiß ist es gelungen, das Riesenwerk in ca. vier Wochen, vom 6.Oktober bis 4. November fertig zu stellen. Das Muster des Teppichs wurde im Atelier der Fabrik selbst entworfen und ist im Renaissancestil gehalten. Die charakteristische Grundfarbe des ganzen Teppichs, der dreifarbig bemustert ist, ist ein schönes Goldbronze, an den Grund schließt sich eine ebensolche dreifarbige Bordüre, aus der ein angenehmes auf der Grenze zwischen Dunkel- und Hellroth stehendes Roth hervortritt. Mit Stolz können wir behaupten, daß derartige Fabrikate auf diesem Gebiete von deutschen, ja auch wohl von Auslandsfirmen noch nicht geliefert worden sind. Und unsere Behauptung schwebt nicht etwa in der Luft, denn Dresdener Häuser, ja selbst Gerson-Berlin haben sich vergeblich bemüht, das Ausstellungsrecht von dem Fabrikanten zu erlangen. Der Preis des Teppichs stellt sich für die direkten Auftraggeber, die Firma J.D.Heymann auf 6000 Mark. Die beiden für das Speisezimmer und das Vorzimmer des japanischen Herrschers bestimmten Teppiche, welche im persischen Stile gehalten sind, haben die Fabrik bereits verlassen, die drei anderen für Salon, Boudoir und Empfangszimmer sollen ihre Seereise noch in diesem Jahre machen. Der Seitens des japanischen Hofes an die Firma Heymann ertheilte Auftrag ist sicher ein glänzendes Zeugniß, wie hoch auswärts die deutsche Industrie geschätzt wird, und der Thronsaalteppich ein Beweis dafür, wie weit unsere Industrie gelangt, und wie konkurrenzfähig sie sich dem Ausland gegenüber zu erweisen im Stande ist.”

Ein gewisser nationalistisch gefärbter Stolz lässt sich im Tenor dieser Berichterstattung zwar nicht überlesen, dennoch wünscht man sich, man könnte von diesem ungebrochenen Selbstbewusstsein wenigstens ein Stückchen in die Gegenwart herüber retten.
Beim Stichwort Perserteppich (oder: Teppiche mit türkischen oder persischen Knoten) fällt einem normalerweise kaum Cottbus als erstes ein.
Ob es den Cottbuser Teppich in Japan wohl noch gibt? Auf diese Anfrage hin teilt Herr Iwakabe vom Kaiserliche Hofamt in Tokio Folgendes mit:

Dass die Teppiche im Meiji-Palast aus Cottbus stammten, war dort bisher nicht bekannt. 1887, als o.g. Zeitungsartikel erschien, war der Palast noch im Bau. Der Vorherige war 1873 abgebrannt. Die Bauarbeiten währten von 1884 bis zum Oktober 1888. Im Jahr darauf erhielt der Palast den Namen „Meiji-Palast“. Meiji, der Name für die Regierungsperiode des Kaisers Mutsuhito, bedeutet so viel wie „erleuchteter Herrscher“.

Das Ensemble bestand aus einem Vorderen Palast (omote kyûden), in dem der Kaiser seinen Amtsgeschäften nachging, und dem Inneren Palast (oku kyûden), in welchem die kaiserliche Familie wohnte.
Die Einrichtung des Vorderen Palastes war eine Mischung aus japanischen und europäischen Elementen. An einer japanisch getäfelten Decke hing z.B. ein Kronleuchter, der Fußboden war gedielt. Der Innere Palast war ganz japanisch eingerichtet, aber selbst dort gab es einen Kamin, Tische, Stühle und Teppiche.
Im Jahre 1886 hatte das Palast-Bauamt in Tokio die in Yokohama ansässige deutsche Handelsgesellschaft Carl Rohde & Co. mit der Beschaffung der für den neuen Palast notwendigen Möbel und Einrichtungsgegenstände beauftragt. Gleichzeitig wurde beschlossen, Spezialisten aus Japan nach Deutschland zu schicken, die vor Ort beurteilen sollten, ob die Muster und Farben etc. dem Kaiserpalast angemessen waren. Die Delegation unter Leitung des bekannten Architekten Katasan Tôyû hatte im Dezember 1886 Japan verlassen und war nach Aufenthalten in Frankreich, Hamburg und Berlin über Paris, London im Oktober 1887 wieder nach Japan abgereist. Der genaue Aufenthaltsplan, also ob die Japaner auch in Cottbus waren, ist nicht überliefert. Verbürgt ist bezüglich des Teppichs nur soviel, dass die im Zeitungsartikel genannte Firma J.D. Heymann tatsächlich der Vertragspartner von Carl Rohde & Co. war, und dass erstere zwei Sendungen mit Teppichen an die Firma in Yokohama versandt haben, nämlich am 5. Oktober und am 30. November. Herr Katasan muss vor Ort äußerst zufrieden mit den für den Kaiserpalast hergestellten Produkten gewesen sein, denn um seinen tiefen Dank zu zeigen, hat er am 1. Oktober 1887 vor seiner Abreise außer Herrn Heymann weitere 15 beteiligte Personen zu einem üppigen Abschiedsessen eingeladen. Die als Beweis bei der kaiserlichen Verwaltung eingereichte Rechnung lässt auf ein großzügiges Festmahl schließen.

Die Cottbuser Teppiche befanden sich noch bis zum 25. Mai 1945 im kaiserlichen Palast, der bei einem amerikanischen Bombenangriff an jenem Tag völlig zerstört wurde. Vom Interieur ist nichts mehr vorhanden. Der heutige Kaiserpalast in Tokyo wurde 1961 neu errichtet.

Auch wenn wenig über die Cottbuser Firma O. Prietsch und die näheren konkreten Umstände der Auftragsarbeit für Japan bekannt ist, so ist in Cottbus doch offenbar einst äußerste Präzisionsarbeit geleistet worden. Cottbuser Teppiche wurden früher in alle Welt exportiert, das Außenhandelsministerium in New York und ein Salonzug im Orient wurden damit ausgestattet. Werte werden einem manchmal erst bewusst, wenn sie am anderen Ende der Welt geschätzt werden. So ist nach diesem kleinen historischen Ausflug nach Japan vielleicht Ihr Interesse geweckt worden, sich mit der Cottbuser Industriegeschichte näher zu befassen. In der Dauerausstellung des Cottbuser Stadtmuseums
widmet sich ein Bereich der Teppichfabrikation. Sechs Knüpfstühle von 1894 geben Einblick in den Stand der Technik im 19. /20. Jahrhundert und bieten Besuchern die Möglichkeit, die Knüpftechnik selbst zu erproben.


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