8. Europäischen Regionalkonferenz von IKEBANA INTERNATIONAL
Die Mori-Ogai-Gedenkstätte in Berlin
Als ich vor mehr als zwanzig Jahren in der Berliner Friedrichstraße ankam, um endlich, endlich die Mori-Ogai-Gedenkstätte zu besuchen – das Wunder der Maueröffnung war noch ganz neu – erlebte ich den Weg dorthin fast als ein kleines Abenteuer: Der Pariser Platz, der heute so lebendige Boulevard „Unter den Linden“, die Seitenstraßen bildeten eine einzige unüberschaubare Baustelle, aus der das Brandenburger Tor und das gerade wiedereröffnete Hotel Adlon heraus ragten. Die knappe Zeit zwang mich, ohne Umwege auf mein Ziel loszugehen, vorbei an Baumaschinen, deren Räder mich bei weitem überragten, an Erd- und Sandhügeln, riesigen Rohren und Kopf schüttelnden Arbeitern…
Wie schnell und auf welch elegant gestalteten Straßen gelangt man heute mit wenigen Schritten vom Brandenburger Tor in die Luisenstraße 39, zur Mori-Ogai-Gedenkstätte!
Mori Rintaro (1862–1922, -wir feiern in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag- ), bekannt unter dem Namen Mori Ogai, geboren als Sohn einer Arztfamilie in Tsuwano, Japan, begann schon als Vierjähriger Chinesisch und Holländisch, als Zehnjähriger Deutsch zu lernen. An der Universität von Tokio studierte er Medizin. Einer seiner Lehrer dort war Dr. Erwin Bälz.
1884–1888 verbrachte er in Deutschland: In Leipzig, Dresden, München und in Berlin u.a. bei Robert Koch sowie bei Manövern der sächsischen Armee vertiefte der junge Militärarzt seine Studien über Hygiene und das Sanitätswesen im Heer. Er nahm an Kongressen teil, verfasste wissenschaftliche Abhandlungen, die auch in Deutschland veröffentlicht wurden, und verkehrte in höchsten gesellschaftlichen Kreisen.
In seiner Freizeit befasste er sich intensiv mit deutscher Literatur. In seinem – von ihm zwischen 1898 und 1902 überarbeitetem – „Deutschlandtagebuch“ notierte er seine Erfahrungen und seine feinfühligen Beobachtungen sozialer Umstände und Strukturen. Gern wird an dieser Stelle auf eine Romanze hingewiesen, aus der seine berühmte Novelle „Maihime / Das Ballettmädchen / Die Tänzerin“ entstanden sein soll. Neben dieser bittersüßen, aber durchaus auch tiefgründigen Geschichte, der ersten Ich-Erzählung der japanischen Literatur, die – sozusagen ganz nebenbei – ein lebendiges Bild vom bunten Treiben auf der Flaniermeile „Unter den Linden“ wie auch in kleinen Cafes und Weinstuben illustriert, schrieb er mehr als dreißig weitere literarische Werke. Außerdem übersetzte er Kleist, Lessing, Rilke und insbesondere Goethes „Faust“ aus dem Deutschen ins Japanische.
Nach der Teilnahme an den Kriegen gegen China (1894/95) und Russland (1904/05) wird er 1907 zum Generalstabsarzt des Heeres ernannt. Zehn Jahre später – nach dem Abschied aus dem Militärdienst – übernimmt er die Leitung des kaiserlichen Hofmuseums als Direktor und wird Präsident der Kunstakademie.
Schon diese stark zusammengefassten Lebensdaten eröffnen den Blick auf ein außergewöhnliches Leben, das zweifellos eine exzellente Romanvorlage wäre. Doch wie viel mehr lässt sich in der 1984 von Professor Jürgen Berndt (1933 -1993) gegründeten Mori-Ogai-Gedenkstätte über ihn erfahren – „als eine(r) Symbolfigur des gigantischen Wissenschafts- und Kulturaustausches zwischen Deutschland und Japan in der Meiji-Zeit 1868 – 1912/14.“ [1] ! „Die Gedenkstätte“ – eine wissenschaftliche Einrichtung der Humboldt-Universität – „fördert die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Leben und Werk Mori Ogais und seinem Einfluss auf die kulturellen Leistungen Japans. Vornehmliche Aufgabe ist die Übersetzung, Erschließung und Verbreitung von Werken, denen für ein kulturelles Verständnis zwischen Japan und Deutschland eine wichtige Bedeutung zukommt.“ [2]
Die beeindruckende Bibliothek mit drei Original-Handschriften Mori Ogais, vielen Erstausgaben, „der umfangreichen Sammlung japanischer Ogai-Sekundärliteratur“ [3] und – und – und -, lädt zum Verweilen ein – und zum Wiederkommen, denn es finden auch spannende Vorträge, Ausstellungen und Kurse statt. Und wenn sich Ihnen die Möglichkeit bietet, hören Sie der jetzigen Leiterin der Gedenkstätte – Frau Beate Wonde – zu, wenn sie mit ihrem unerschöpflichen Wissen über kleinste Einzelheiten und Beziehungsgeflechte so überaus charmant und spannend erzählt, dass die faszinierende, vielseitige Persönlichkeit Mori Ogai lebendig vor einem zu stehen scheint, dass die gebannten Zuhörer nach einem zweistündigen Vortrag mit großem Bedauern dessen Ende akzeptieren (müssen) – wie ich es erst vor kurzem selbst erleben durfte – , wissend, dass es über diesen Mann noch unendlich viel mehr zu entdecken gibt… .
Christine Hamer
[2] Vortrag von Beate Wonde am 16. Dez. 2011
[3] Mori Ogai „Das Ballettmädchen“