Rückkehr einer Ikone
Zeitschrift des Deutschen Stiftungs-Zentrums (Original/Scan wird z.Z. gesucht)
Rückkehr einer Ikone
Anfang des letzten Jahrhunderts hatte die Kewpie-Puppe als erste Ikone der Pop-Kultur von Thüringen aus eine globale Manie ausgelöst. Nun scheint ihr ein Comeback bevorzustehen.
Sie guckt ganz schüchtern, obwohl sie doch so stolz sein könnte: Die Kewpie hat die Welt erobert, als andere Figuren noch nicht einmal gezeichnet waren. „Es war faszinierend herauszufinden, dass nicht etwa Micky Maus die erste Ikone einer globalen Popkultur war, sondern die Kewpie-Doll“, erzählt Elena Polzer. Während ihres Studiums der Japanologie an der Berliner Humboldt Universität hatte sie eine Seminararbeit über die Kewpie-Puppen geschrieben und damit ein fast in Vergessenheit geratenes Stück Kultur- und Wirtschaftsgeschichte wiederentdeckt – und damit den Grundstein gelegt für einen möglichen neuen Boom.
Die Geschichte der Kewpie klingt wie ein Märchen, und es beginnt im Jahr 1908 mit einer bitteren Enttäuschung. Die amerikanische Künstlerin Rose Cecil O’Neill bleibt in zwei Ehen kinderlos und zieht sich zu ihren Eltern zurück. In ihrem Zimmer träumt sie den ausgebliebenen Nachwuchs in Form von engelsgleichen Figuren herbei, skizziert sie und veröffentlicht sie in verschiedenen Zeitschriften und Büchern. Was dann passierte, kann man nur als Hype bezeichnen: Die Kewpie wurde als Puppe hergestellt und die Nachfrage in den USA und in Japan war so gewaltig, dass man mit dem Produzieren gar nicht hinterher kam. „Es war die simpelste Form einer emotionalen Ansprache“, sagt Elena Polzer. Große Kulleraugen und niedlich-schüchterner Blick – das Babyschema sprach vor allem Frauen und Mädchen an. Die „Kewpie-Craze“ gebar in den USA schnell Postkarten, Seife und andere Produkte mit Namen und Konterfeit der Puppe, selbst eine Kewpie-Fast-Food-Kette entstand, die es mit drei Filialen heute noch gibt.
Der Erfolg war nicht geplant: Erst auf Drängen ihres Verlegers hatte Rose O’Neill eine Firma mit der Fertigung beauftragt, genauer die von Johann Daniel Kestner, dem damaligen „König der Puppen“, im Städtchen Ohrdruf in Thüringen. Wie an einer Perlenkette reihen sich an der „Deutschen Spielzeugstraße“ von Waltershausen an der Nordpforte des Thüringer Walds über Ohrdruf bis nach Zirndorf in Franken Orte aneinander, die die Welt seit Beginn des 19. Jahrhunderts mit Schaukelpferden, Blechspielzeug und Puppen versorgen. Zum Start der Fertigung im Jahr 1913 reiste Rose O’Neill selbst nach Thüringen. Als die Nachfrage sprunghaft stieg, produzierten weitere Fabriken in der Gegend die Kewpies, Standorte in den USA und Japan kamen hinzu. Dem Boom gerecht wurden auch sie kaum.
Einer, der 1918 eine Kewpie kaufte, war Mori Ogai, dem die Berliner Humboldt Universität später eine Gedenk- und Forschungsstätte widmete. Der japanische Arzt, Schriftsteller und Philosoph schenkte die Puppe seiner Tochter, und dieses Detail in Ogais Vita ließ die damalige Humboldtstudentin Elena Polzer aufhorchen. Bei ihren Recherchen fand sie heraus, warum die Kewpie gerade auch in Japan äußerst beliebt war und bis heute ist: „Sie lässt sich keiner Kultur zuordnen.“ Die blauen Augen wurden in den japanischen Versionen einfach abgedunkelt und in Verbindung mit dem kammartigen Haarschnitt entspricht das Abbild perfekt der Vorstellung japanischer Eltern von einem hübschen Baby.
Während die Kewpie in Deutschland fast ganz in Vergessenheit geraten ist, fertigt ein japanisches Unternehmen die Puppen seit Jahrzehnten in verschiedenen Versionen und trifft damit nach wie vor den Zeitgeist. „In Japan ist die Kewpie ein allgegenwärtiges Phänomen“, erzählt Elena Polzer. An den Handys japanischer Jugendlicher baumeln Mini-Kewpie als Glücksbringer, es gibt Geisha-Kewpies und Buddha-Kewpies, andere wackeln dank eingebautem Motor fröhlich mit dem Hintern, als Maskottchen für Babynahrung flimmert eine Kewpie allabendlich über japanische Bildschirme und die Kiupi-Mayonnaise mit Kewpie-Konterfeit ist die beliebteste des Landes.
Mit Unterstützung des japanischen Kewpie-Herstellers entstand aus Elena Polzers Seminararbeit an der Berliner Mori-Ogai-Gedenkstätte dann eine Kewpie-Ausstellung, die über sechs Monate zu sehen war. Die Resonanz war ebenso überraschend wie der damalige Boom. „In Ohrdruf war man begeistert, mit den Kewpies ein Stück der eigenen Geschichte und Identität zurück zu bekommen“, sagt Beate Wonde, Referentin für Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit der Mori-Ogai-Gedenkstätte( und Kuratorin der Ausstellung).
Als Manfred Ständer von der Ohrdrufer Stadtverwaltung von der Sache erfuhr, holte er die Ausstellung ins dortige Rathaus. Einige ältere Bürger der Stadt erinnerten sich an die Kewpies und auch daran, dass die Puppe, die damals aus Porzellan hergestellt wurde, als Bruch ein prima Baumaterial hergab. „Die Leute haben hinter Decken- und Wandverschalungen tatsächlich einige gut erhaltene Stücke der frühen Kewpies gefunden“, sagt Ständer. Noch in diesem Jahr soll die so erweiterte Kewpie-Ausstellung im Schloss Ehrenstein einen dauerhaften Platz bekommen. In dem Schloss gibt es bereits ein „Bach-Zimmer“ in Erinnerung an die Komponisten Johann Sebastian Bach und Bruder Johann Christoph, die in Ohrdruf lebten und arbeiteten. Das „Kewpie-Zimmer“ soll auch diesen Teil der Ohrdrufer Geschichte erzählen.
Mit Hilfe von Sponsoren hofft Manfred Ständer, Kewpie-Fans aus aller Welt nach Ohrdruf locken zu können. Zumal sich herausgestellt habe, dass in Saalfeld ganz in der Nähe von Ohrdruf die Kewpie seit 1996 wieder produziert wird. Bislang nur für den amerikanischen Markt hergestellt, sollen die Kewpies auch an ihrem Ausgangspunkt wieder zu haben sein.
„Es ist bemerkenswert, was für eine Lawine durch diese Seminararbeit ins Rollen gekommen ist“, sagt Beate Wonde. Vielleicht nimmt sie ja noch weiter an Fahrt auf.
Ein zweites Comeback der Kewpie in ferner Zukunft ist übrigens bereits fest geplant. Während der New Yorker Weltausstellung 1939 wurde eine Zeitkapsel vergraben, die unseren Urahnen in 5.000 Jahren das Leben ihrer Vorfahren näher bringen soll. Neben Texten von Albert Einstein und Thomas Mann enthält die Kapsel auch eine Kewpie.
Dirk Schäfer
Kasten: Stiftung Mori-Ôgai-Gedenkfonds
Die Stiftung zur Förderung der japanischen Kultur wurde 1993 in deutsch-japanischer Zusammenarbeit zur Förderung der Mori-Ôgai-Gedenkstätte gegründet. Stiftungszweck ist, die Forschung zur Person und zum Werk des japanischen Dichters, Übersetzers und Arztes Mori Ôgai zu unterstützen und zur Erforschung und Vermittlung der japanischen Kultur, insbesondere der Literatur, beizutragen. Die Stiftung fördert Forschungsprojekte des Japanzentrums, Lehrveranstaltungen, Gastvorlesungen, die Finanzierung von Hilfskräften und den Ausbau der Literatursammlung zu Mori Ôgai sowie die praktische Kulturarbeit. Außerdem veröffentlicht sie die „Kleine Reihe“ sowie das Jahrbuch „Japonica Humboldtiana“.