Mori-Ôgai-Gedenkstätte Berlin / ベルリン森鷗外記念館・ベアーテ・ヴォンデ

Erinnerung an die Literaturfreunde in Kumamoto

Deutsche Langversion des japanischen Artikels 熊本を思いながら für die Zeitschrift des Literaturhauses Kumamoto

Kumamoto wo ominagara

Denke ich an den Herbst 2009 zurück, sehe ich mich wieder im sonnigen Kumamoto. Abgesehen von dem Ort mit den vielfältigen literarischen und historischen topoi, den offenen Menschen, den uralten Bäumen und der bergigen Landschaft hat mich besonders die Begegnung mit der Kumamoto bungakutai beeindruckt. Es war einerseits völlig neu für mich, in Japan so eine begeisterte Gruppe zu erleben, die sich spontan zu geselligem Beisammensein mit vielen mitgebrachten Köstlichkeiten zusammenfand, um dann den ganzen Abend über Literatur zu diskutieren. Anderseits war es auch natsukashii: In Ostdeutschland sind wir früher genauso zusammengekommen im Freundeskreis und haben heiß diskutiert und uns gestritten über Neuerscheinungen, Inszenierungen im Theater, die Politik…Und gleichzeitig war es kulturelle Lebenshilfe: der Austausch mit den Freunden half uns Standpunkte zu finden, er verschaffte uns die nötigen Informationen, was wirklich lohnenswert war, ob nun im Theater oder in der Literatur. Die Urteile der Freunde erweiterten das eigene Denken und waren ein Kompass durch die reiche Berliner Kulturlandschaft. Heute fällt man oft auf die Werbung, die Medien herein und ärgert sich, wenn man enttäuscht wird. Freunde hätten einen gewarnt, hätten das eigene Erlebnispotential vervielfacht. Auf Empfehlungen von Freunden kann man sich verlassen. Und man hat hinterher ein gemeinsames Thema, über das man diskutieren kann.

Aber seit wir im vereinten Deutschland leben, scheinen sich die Freundeskreise atomisiert zu haben, selten findet man einen gemeinsamen Termin. Höchstens ab und zu eine Rundmail an alle in die virtuelle Welt. Selbst bilaterale Treffen zu zweit sind schon eine Seltenheit, Parties mit vielen Freunden fast unmöglich: alle sind beschäftigt, keine Zeit… Früher lebte und dachte ich im großen Kreise meiner Freunde, die sich untereinander auch alle kannten. Es war damals ein privates Netzwerk, um als Mensch unter erstarrten politischen Verhältnissen in Ostdeutschland zu überleben. Heute bin ich „frei“, ich kann zu allen möglichen Veranstaltungen gehen. Aber ich gehe meist allein, und wenn es vorüber ist, gehe ich allein nach Hause. Meine Freunde kennen sich untereinander nicht mehr. Ich bin da keine Ausnahme.
Da war die Begegnung mit der Kumamoto bungakutai (Literatur-Truppe) in der Wohnung von Itô Hiromi, mit Freunden aller Altersgruppen, die sich in der alten wie der neueren Literatur genauso auskennen, Recherchen anstellen, selbst schreiben, wie die Rückkehr in ein Land aus meiner Erinnerung – dem einzigen Ort, aus dem man bekanntlich nicht vertrieben werden kann – ein Stück verlorener Heimat, die man sich, wie die Erfahrung in Kumamoto zeigt, immer wieder neu schaffen kann. Auch wenn es zynisch klingt: manchmal denke ich, wenn die Lebensverhältnisse sich weiter verschärfen, dann rücken wir vielleicht auch wieder näher zusammen und wissen geistige Gemeinschaften zu schätzen. Womöglich geht es uns in Deutschland noch zu gut. Wir frönen unseren individuellen Egoismen und ziehen uns vor den Fernseher zurück, als aufeinander zuzugehen. Ich bin zurückgekehrt mit dem festen Vorsatz, meine alten Freunde anzurufen, etwas zu kochen und zu mir einzuladen. Oder ich gründe an der MOG doch längerfristig einen Literatursalon (dann muss ich nicht kochen). In jedem Fall ist die Verbindung von gut organisiertem, offenem Literaturmuseum und Literatur-Interessengemeinschaft ein wichtiger Impuls für mich.
Dass meine Abreise sich mit der Eröffnung der Sakamura-Shinmin-Ausstellung überschnitt, den ich sehr verehre und mit dessen Zen-Gedichten wir schon vor fast 10 Jahren eine Kalligraphie-Ausstellung in Berlin gezeigt haben, verstärkte nicht nur mein „at home feeling“ im Literaturmuseum von Kumamoto, es bestätigte auch das alte Sprichwort: rui wa tomo wo suru/ Man sucht seine Freunde immer im selben Rudel.
Als Denkanregung habe ich Themen wie „Die Bedeutung von homosocial Kontakten unter japanischen Literaten“ und „Die Philosophie von literarischen Gedenksteinen“ aus Kumamoto mitgebracht. Allein zu Sakamura Shinmin soll es über 700 beschriftete Steine geben. Bei uns gibt es diese Tradition nicht. Darüber will ich für deutsche Literaturfreunde schreiben. Für hilfreiche Hinweise bin ich jederzeit dankbar! Ich hoffe, wir bleiben weiter in Kontakt!


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