Mori-Ôgai-Gedenkstätte Berlin / ベルリン森鷗外記念館・ベアーテ・ヴォンデ

Sawada Shinichi – Führung im Kolbe-Museum für DJG

Eigentlich war die Ausstellung bis 13. September geplant. Wegen Corona war dieser Termin nun der erste Tag – 10. Januar 2021.


Zorro-maskierte Fotos als Corona-Erinnerung: Katrin Schmidt, DJG

Für den 9. Oktober hatten Frau Schmidt von der DJG und ich langfristig einen Besichtigungstermin im Kolbe-Museum vereinbart, für den sich erfreulicherweise auch 25 Interessierte angemeldeten. Am Vorabend bekam ich fast einen Herzinfarkt: Warnstreik der BVB! Dennoch haben es 20 Zuhörer geschafft und ich war froh, noch ein Auto vor der Tür zu haben. Das Cafe konnte leider nicht rechtzeitig fertig gestellt werden. Doch hier zeigte sich wieder einmal der außerordentlich flexible, kreative und besucherfreunliche Charakter dieses Museums- an die bereichernde Zusammenarbeit mit der Direktorin zur Hanako-Rodin-Ausstellung erinnere ich mich noch gern! Wie von Zauberhand erwarteten uns im Garten später Kaffee und Tee, um uns vor dem Gang zum Heerstraßen-Friedhof zu stärken. Nichts ist unmöglich, bis auf das Wetter, das leider nicht herbstlich sonnig und warm war, sondern klamm-kalt.

Sawada Shinichi ist ein 1982 geborener authistischer Künstler aus der Präfektur Shiga, der nach der Grundschule bis zu seinem 1. Lebensjahr in einem Internat in Kusatsu lebte – dem berühmten Kusatsu mit seinen vielen Heilquellen, das Mori Ôgais deutscher Lehrer Erwin Baelz für Vorbeugung und Behandlung verschiedenster Leiden entwickelt hatte!
Sawada hilft in der Bäckerei seiner Behinderten-Einrichtung. Nachdem ihn zunächst Webarbeiten interessiert haben, wechselte sein Focus bald zur Keramik. Dreimal in der Woche zieht er sich in eine extra für ihn errichtete ruhige Blechhütte im Wald zurück, wo er seine archaischen, dämonischen, Fabelwesen oder südamerikanischen Totems ähnlichen Kreationen schafft. Er benötigt dafür ganz konzentriert nur 3-5 Tage, in dem er die fragilen, innen hohlen Figuren zunächst wie in jedem Keramikzirkel üblich, mit übereinander gelegten Tonschlangen aufbaut und dann mit Dornen wie Nobben und winzigen reptilienartigen Krallen oder dreizehigen Füßchen und Händchen verziert. 15 Grundmuster variiert er immer wieder. Ich hatte von den Exponaten nur vom Ansehen her einen sehr haptischen Eindruck, offenbar weil die Dornen und Ausstülpungen die „Hautfläche“ mehrfach potenzieren. Sie riefen bei mir jedenfalls eine sehr sinnliche Hautempfindung, wie Gänsehaut hervor. Zweimal im Jahr werden dann größere Mengen gebrannt in einem traditionellen Raku-Brennofen.

Sobald Sawada eine Figur vollendet hat, interessiert sie ihn nicht mehr. Er äußert sich auch nicht dazu, lediglich dass einige für ihn Meereswesen seien. Denn er spricht kaum.
Das wiederum ist eine gänzlich ungewöhnliche Chance für eien Begegnung des Betrachters mit einem Kunstwerk: es gibt keine Titel, keine Vorgaben, keine Intentionen des Künstlers, die man nachvollziehen müsste. Es ist die reinste, direkteste, durch nichts beeinträchtigte Begegnung: Zuschauer-Werk! Statt „Was will der Künstler damit ausdrücken?“ ist der Fokus eher auf „Berührt mich das? Was macht es mit mir? Was stelle ich mir vor?“
Sawada ist der jüngste und bekannteste Vertreter der sog. Art Brut oder Outsider Art, wie sie das Halle Saint Pierre Museum in Paris sammelt. Diese inklusive Ausstellung eines Künstlers außerhalb des akademischen Kunstbetriebes und seiner Strömungen und Gruppen regt an, den Begriff Kunst und die tradierte museale Ausstellungspraxis neu zu hinterfragen. Sawadas Werke wurden 2013 erstmal saußerhalb des Kontextes der sog. „Outsider Art“ auf der Biennale in Venedig vorgestellt.
Übrigens haben mich einige der Figuren stark an die Haniwa der Jômon, Yayoi, Kofun-Zeit erinnert, die ebenfalls aus Tonschlangen gefertigt wurden, allerdings glatt waren.

Dei Austellung ist in Kooperation mti dem Museum Lothar Fischer in Neumarkt in der Oberpfalz zustande gekommen. Es ist die erste institutionele Einzelausstellung des Künstlers in Europa.

Im Durchgang kann man Sawada in einem Kurzfilm bei der Arbeit sehen. Im hinteren Trakt sollten ursprünglich Bruchstücke von Werken Sawadas und Kolbes zum Berühren zum sinnlichen Wahrnehmen ausgelegt werden – doch in Corona-Zeiten ist Kollektiv-Haptisches nicht erlaubt.
Die Museumsleitung entschloss sich daraufhin, aus der Not eine Tugend zu machen und einen Teil des umfangreichen Nachlasses Kolbes, der nach Vertrauen fördernden langwierigen Verhandlungen mit der Enkeln Kolbes erst kürzlich aus Kanada zurückgekehrt ist in Gestalt von 38 Kisten mit über 3000 Briefen u.v.a.m.

Die Schau zum Thema Interaktion von Kunstwerk und Architektur, angefangen mit der Geschichte des Baus der „Sensburg“ 1928/29, Kolbes Trutzburg, in die er sich vor der Welt zurückzog (korrespondiert gut mit Sawada), wo er aber gleichzeitig in stetem Kontakt zur Natur war (die Kiefern stammen noch aus seiner Zeit) bis hin zum Pavillion Mies van der Rohes mit der Kolbe-Skulptur „Morgen“ auf der Weltausstellung in Barcelona 1916 bis hin zu bisher noch nie gezeigten Aufnahmen aus dem Innern der von Kolbe benutzen Wohnräume und Ateliers. Ebenfalls neu: Fotos aus dem privaten Bereich, Kolbe als Großvater mit Enkeln und Katzen.

Kolbe hatte sich das das Grundstück in der Sensburger Straße nach dem frühen Tod seiner Frau Benjamine Kolbe (mit 47 Jahren) ausgeguckt, weil er nach Charlottenburg im Grünen wohnen wollte, unweit der Grabstätte seiner Frau auf den Heerstraßen-Friedhof, dem anschließenden 2. Teil meiner Führung. Fortsetzung siehe nächste Seite…


Vorträge《関連記事》