Danke, Saitô-sensei
Un hier die Langfassung:
Danke, sensei
Wer in den Kursen des Hochschulsports regelmäßig Karate oder Aikido trainiert, kennt das Wort bereits. Dort wird “sensei” in Verehrung für den jeweiligen Gründer einer Methode oder Sportart verwandt, vor dem man sich vor jeder Übungsstunde ehrfürchtig verneigt. Wörtlich meint das japanische “sensei” : den der vor-lebt, voran-geht, jemanden, der nicht nur Wissen sondern in gleicher Weise menschenbildende Werte vermittelt, ein Vorbild ist in vielerlei Hinsicht.
Ich habe das große Glück, eine solche sensei zu haben. Als ich 1973 unmittelbar nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und Japan am Bereich Japan der Humboldt-Universität immatrikuliert wurde und für dieses Studium nicht viel mehr mitbrachte, als eine gewisse gewisse Entschlossenheit nebst Sprachbegabung und das nötige Fernweh, nicht wissend, worauf ich mich einliess, da war sie es, die mir die ersten Worte ihrer Muttersprache beibrachte und nicht locker ließ, bis wir das nötige Rüstzeug hatten, Japan auch allein weiterzuentdecken. In einer Zeit, als es nicht einmal Lehrbücher, geschweige denn Computer gab – die höchste Errungenschaft eine mechanische japanische Schreibmaschine – hat sie sich Abend für Abend Texte ausgedacht, an denen wir über kaum lesbare Omeg-Abzüge unsere Vokabelkenntnis und die fremde Grammatik schulen konnten, um sie beim nächsten Dolmetscheinsatz – auch dieser Service ging damals ausschließlich über die Universität – in der Praxis anzuwenden. Der erste “Grundkurs der modernen japanischen Sprache”, mit dem fortan nicht nur an der Humboldt-Universität Japanisch unterrichtet wurde, stammt maßgeblich aus ihrer Feder. Für uns Studenten war sie immer da, weit über den Seminarraum hinaus. In ihrer Küche haben wir gelernt wie Japan schmeckt und riecht, sie repräsentierte für uns das unerreichbar ferne Japan, sie war immer großzügig. Ihre zahlreichen Freunde hat sie mit uns geteilt und als wir später bereits die Möglichkeit hatten, selbst in Japan weiterzustudieren, waren die Türen ihrer nahmhaften Freunde auch für uns immer offen, als hätte sie ein überdimensionales Spinnennetz der Verbundenheit zwischen Japan und Deutschland gewebt.
Wenn die Japanologie-Absolventen der Humboldt-Universität heute bei Unternehmen, Medieneinrichtungen etc. einen guten Ruf haben, dann ist das Lehrern mit Leib und Seele wie meiner sensei zu verdanken, die seit nunmehr 40 Jahren (sic!) Japanologie-Studenten an der Humboldt-Universität unterrichtet.
In diesen Tagen wird Eiko Saitô laut Kalender 70. Unglaublich für jeden, der sie kennt. An Vitalität hat sie seit unserer ersten Begegnung nichts eingebüßt. Zur Zeit ist sie in Japan, aber eine richtige sensei ist auch eine sensei ohne ständigen Kontakt. Das Vorbild wirkt indirekt vielleicht noch stärker, z.B. wenn man sich an jemandem aufrichten will, der unter noch so wechselnden Bedingungen seine Lebensziele nie aus den Augen verliert. Als es den Begriff Gender studies noch gar nicht gab, hat sie von 1958-64 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sekretariat der Internationalen Demokratischen Frauenförderation gewirkt und ist der Sache der Frauen sowohl politisch als auch als Literaturwissenschaftlerin treu geblieben. Nach dem Abschluß ihrer Promotion im Jahre 1981, gab sie neben vielen anderen Schriften und vor allem neben der Arbeit als Sprachlehrerin 1989 “Die Frau im alten Japan” heraus, ein gut recherchiertes und sensibel verfaßtes Standartwerk zu diesem Thema. Als Wissenschaftlerin hat sie schon immer der interdisziplinäre Diskurs gereizt. Sie ist gern eingeladene Referentin bei Tagungen zu literarischen Fragen oder Gender Studies u.v.a.m. Nicht zu vergessen ihre publizistische Rolle als Mittlerin zwischen Japan und Deutschland. Neben unzähligen Zeitungsberichten über Deutschland sind in Japan zwei Bücher von ihr erschienen über ihr Leben in der DDR und über die tiefgreifenden Umwälzungen nach der Wende. Sie hat die Gabe, als Augenzeuge vor Ort einer anderen Kultur komplizierte Zusammenhänge verständlich zu machen.
In den letzten Jahren hat sie sich sehr für die Aus- und Weiterbildung von Japanischlehrern an Berliner Gymnasien eingesetzt, als Lehrbeauftragte ist sie nach wie vor über die Sprachdidaktik des Japanischen mit unserer alma mater verbunden.
In Zeiten, wo der geringer werdende Etat das Schicksal ganzer Fachrichtungen entscheidet und wo so mancher Mitarbeiter diese Universität sang- und klanglos verlassen müssen wird, wo wir unser Tun am Leitbild der Unviersität messen sollen, mag die Frage vermessen klingen, aber: wie hält es denn diese Universität mit ihren von Menschenhand und -kopf geschaffenen Traditionen, die Ihren Ruf ausmachen, wie identifiziert sich diese Universität mit ihren Mitarbeitern und gibt es hier außer dem Nobelpreis, einer Ehrenpromotion und dem monatlichen Gehalt so etwas wie Anerkennung des Lebenswerkes von unspektakulären nicht ständig medienpräsenten Mitarbeitern? Mir scheint das seit der Wende reichlich in Vergessenheit geraten. Und deshalb möchte ich meiner sensei auf diesem Wege danken, statt Blumen.