Mori-Ôgai-Gedenkstätte Berlin / ベルリン森鷗外記念館・ベアーテ・ヴォンデ

Plauderei über Japan. Wie Einstein Weihnachten 1922 in Japan verbrachte

"Plauderei über Japan. WIe Einstein Weihnachten 1922 in Japan verbrachte", in: Humboldt, 08.12.2005, S. 11
„Plauderei über Japan. WIe Einstein Weihnachten 1922 in Japan verbrachte“, in: Humboldt, 08.12.2005, S. 11

Einstein in Japan, Weihnachten 1922

— Auf Spurensuche in Kitakyûshû —

“Nie in meinem Leben bin ich in Berlin mehr und echter beneidet worden wie in dem Augenblicke, als man erfuhr, dass ich nach Japan eingeladen sei”, schreibt Albert Einstein in seiner “Plauderei über meine Reise in Japan” auf dem Briefpapier des Kanaya-Hotels in Nikkô, “…ein solcher von meiner Art soll eigentlich still in seinem Zimmer sitzen bleiben und studieren…Als aber Yamatos Einladung nach Japan kam, entschloss ich mich sofort zu der großen Reise…ohne dass ich dafür eine andere Entschuldigung anführen kann als die eine, dass ich es mir nie hätte verzeihen können, wenn ich die Gelegenheit, Japan mit eigenen Augen zu sehen, hätte unbenützt vorbeigehen lassen.”

Insgesamt 43 Tage weilte Einstein auf Einladung des Kaizô-Verlages Ende 1922 mit seiner zweiten Frau Elsa in Japan. Während der Schiffsreise dorthin erreichte ihn auf der “Kitano Maru” das Telegramm mit der Nachricht, dass ihm rückwirkend für das Jahr 1921 der Nobelpreis für Physik zuerkannt worden war.

Die Reise durch Japan gestaltete sich daraufhin zu einem wahren Triumpfzug der Relativitätstheorie. Der deutsche Botschafter berichtete an das Auswärtige Amt von “superlativen Ehrungen”. Nach seiner Ankunft in Kobe hielt Einstein in Tokyo, Sendai, Nagoya, Kyoto, Osaka u.a. Städten 18 Vorträge vor Studenten, Schülern und naturwissenschaftlichen Vereinen; er erwies sich als denkbar geeigneter Botschafter der nach dem Ersten Weltkrieg wieder aufblühenden deutschen Naturwissenschaften.

Trotz der anstrengenden Verpflichtungen nutzte das Ehepaar jede freie Minute zu persönlichen Begegnungen, Besichtigungen kulturhistorischer Stätten – besonders Malerei und Holzschnitzkunst hatten es ihnen angetan – bzw. um sich mit den gänzlich anderen Sitten und Gebräuchen Japans vertraut zu machen angefangen bei der Eßkultur über die Teilnahme an einer Teezeremonie bis zur Praktikabilität japanischer Holz-Bauten.

Immer wieder kreisten Einsteins Gedanken um das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in Europa einerseits und Japan andererseits. “Die Isolation des Individuums wird als notwendige Folge des Daseinskampfes angesehen, sie raubt dem Menschen jene heitere Sorglosigkeit, die nur das Aufgehen in der Gemeinschaft verleihen kann. Die vorwiegend rationalistische Bildung – für das Leben unter unseren Verhältnissen unentbehrlich – verleiht dieser Einstellung des Individuums noch mehr Schärfe, durch sie tritt die Vereinsamung des Individuums noch stärker in das Bewusstsein.” Umso mehr faszinierten ihn in Japan die “Feinfühligkeit” und die “Intensität des Mitgefühls”, die Fähigkeit, “unter allen Umständen ruhig und gelassen zu bleiben”.
Den Heiligabend verbrachte er in Fukuoka im Hause des befreundeten Chirurgen Dr. Hayashi Miyake, der lange in Deutschland studiert und ihn während der Schiffsreise von der Angst vor einer möglichen Darmkrebserkrankung befreit hatte. Den Flügel, auf dem er an diesem Abend spielte, besitzt die Familie noch.
Seine Geige hatte Einstein stets bei sich. Am 25. Dezember nahm er, der sich stets zu Kindern hingezogen fühlte, an der Weihnachtsfeier in der YMCA- Halle in Moji teil. Nach den Gesängen und Darbietungen der Kinder spielte er für sie das Ave Maria.

In der letzten Woche vor seiner Abreise vom Hafen in Moji wohnte er ab 23. Dezember im 1921 erbauten Mitsui Club. Mit einer Ausnahme: am Heiligabend, nachdem er in Fukuoka vor 3000 Zuhörern seinen letzten Vortrag gehalten hatte, wollte er in einem echten japanischen Gasthaus, einem ryokan, übernachten und quartierte sich für eine Nacht im “Sakaeya” ein. Damit der berühmte ausländische Gast es auch bequem habe, wurden für ihn acht (!) Futons übereinander geschichtet, so dass sie am Ende Betthöhe erreichten. Offenbar zog er es am nächsten Tag vor, doch wieder in den europäisch eingerichteten Mitsui-Club umzuziehen. Die Zimmer, die er dort bewohnte, sind noch heute originalgetreu erhalten, sogar das Bad. Moji ist wie Kokura, wo Mori Ôgai 1899-1902 diente, heute Stadtteil von Kitakyûshû, einer aus der Stahlproduktion hervorgegangenen Metropole im Norden Kyûshûs, die in den letzten Jahren vor allem wegen ihres Einsatzes für neue Umwelttechnologien von sich reden machte. Auch für eine originelle Art von japanischer Denkmalpflege steht diese Stadt: Während in Japans Städten normalerweise das Prinzip Abreißen und Neubauen vorherrscht, hat man in Kitakyûshû höchsten Wert auf die Erhaltung historischer Substanz gelegt. Nicht nur der alte Bahnhof von Moji wurde restauriert. Auch andere vereinzelte Gebäude aus der Jahrhundertwende konnten erhalten werden, indem sie 1990 mit Hilfe hydraulischer Technik an den Hafen von Moji umgesetzt wurden. Dort bilden sie heute ein historisches Ensemble, in dessen nächtlich angestrahlter Kulisse sich vor allem junge Leute im Sommer am Wasser einfinden und musizierender Weise die langen Abende verbringen.

Auch Einstein hat die freien Tage vor seiner Abreise genossen, ist in den Bergen gewandert, hat Bootsfahrten im Hafen unternommen und sich verschiedene Handwerke erklären lassen.
Zu Neujahr gibt es in Japan traditionell Reisklöße, mochi. Dazu wird der Reis in Holzzubern mit Holzklöppeln geschlagen. Diese Vorbereitungen für das so genannte mochitsuki waren das Letzte, was die Einsteins bei ihrer Abreise am 29. Dezember vom Schiff gen Shanghai aus sahen.

Einsteins Fazit: “Mit Recht bewundert der Japaner die geistigen Errungenschaften des Westens und versenkt sich mit Erfolg und grossem Idealismus in die Wissenschaften. Möge er aber dabei nicht vergessen, die grossen Güter rein zu halten, die er dem Westen voraus hat, die künstlerische Gestaltung des Lebens, die Schlichtheit und Anspruchslosigkeit in den persönlichen Bedürfnissen und die Reinheit und Ruhe der japanischen Seele.”

Für die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Japan hatte Einsteins Aufenthalt über das eigene Fach hinaus weit reichende Folgen. Unter Federführung eines weiteren Berliner Nobelpreisträgers, des Chemikers Fritz Haber, der 1924 nach Japan reiste, gehörte Einstein mit dem Indologen und Botschafter in Japan Friedrich Wilhelm Solf zu den Mitbegründern des Japaninstituts Berlin, das am 4.12. 1926 in den Räumen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Berliner Stadtschloß offiziell eröffnet wurde. Sein vollständiger Name: “Institut zur wechselseitigen Kenntnis des geistigen Lebens und der öffentlichen Einrichtungen in Deutschland und Japan”. Sechs Monate später folgte in Japan das Pendant, das Japanisch-Deutsche Kulturinstitut Tokyo.
(Siehe auch: “300 Jahre deutsch-japanische Beziehungen in der Medizin”, Springer Verlag Tokyo 1992, S. 48ff). Beate Weber

Der Artikel beruht auf der Recherche meines Aufenthaltes in Kitaykyûshu 2004.

Einstei in Mojikô

Zimmer der Einsteins in Mojikô

Warum kan Einstein nach Japan?

Einsteins Woche in Mojikô


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