Mori-Ôgai-Gedenkstätte Berlin / ベルリン森鷗外記念館・ベアーテ・ヴォンデ

Heerstraßen Friedhof mit Grab von Michiko Tanaka und Victor de Kowa

Auf japanischen Spuren ging es dann am 9.10.2020 mit der DJG weiter über den Kolbe-Hain genannten Park mit Skulpturen auf dem Waldfriedhof.

Am Anfang standen Zeilen der gerade gekürten Literaturnobelpreisträgerin 2020 Louise Glück:
Dies ist der Augenblick, in dem du / die roten Beeren der Eberesche wiedersiehst, / und am dunklen Himmel / die Vögel beim nächtlichen Wanderzug. // Es bedrückt mich zu denken, / dass die Toten sie nicht sehen – / diese Dinge, die uns selbstverständlich sind, / sie entschwinden. // Was wird die Seele dann tun, um sich zu trösten? / Ich sage mir, vielleicht braucht sie diese Freuden nicht mehr; / vielleicht ist es einfach genug, nicht zu sein, / so schwer vorzustellen das auch ist.

Er wird zwar Friedhof Heerstraße genannt, wegen der Heerstraßen-Villenkolonie, für deren Bewohner er 1910 errichtet wurde, liegt aber an der Trakehner Allee 1. Mit dem gerade zur Zeit der Laubfärbung idyllischen Saukuhlensee in der Mitte wurde der terassenförmig angelegte Ort aber schon bald (1912) auf 5 ha für Großberlin erweitert und zu einem interkonfessionellen Friedhof ausgebaut.

Er gilt als einer der schönsten Friedhöfe Berlins, auf dem man auch ohne Grabbesuch auf einer der vielen Bänke am Saukuhlensee Ruhe findet. (Aufpassen muss man, weil Baumwurzeln u.a. einige Wege angehoben oder aufgebrochen haben. Da wünscht man der Verwalktung bald einen Sponsor!). Schließlich weist dieser Stille Ort mehr Prominentengräber auf als die ebenfalls dafür bekannten Waldfriedhöfe in Dahlem und Zehlendorf. M.E. findet man hier die individuellsten und kreativsten Grabsteine überhaupt, eine vielfache künstlerische Anregung, über das eigene momento mori oder Trauerkultur nachzudenken


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Ich habe meinen Rundgang am Verwaltungsgebäude begonnen, weil von dort eine breite Treppe direkt zum Rondell führt. Das erleichtert die Orientierung.

Von hier kamen wir zunächst am Grab von Vadim Glowna vorbei. Glowna spielte die Hauptrolle und war Regisseur seiner Adaption „Das Haus der schlafenden Schönen“ nach Kawabata Yasunaris Roman „Die schlafenden Schönen“. Der Film über in meiner Erinnerung nach Berlin verlegte schlüpfrige, melancholische Altherrenphantasien wurde 2008 für die Auswahl des deutschen Oscar-Kandidaten angemeldet, musste sich aber Fatih Akıns Auf der anderen Seite geschlagen geben.

Er war 1967 bis zur Scheidung mit Vera Tschechowa verheiratet. Ein trauriges beispiel für ein Lebenswerk, an dem die eigene Familie o.a. nicht interessiert sind.
Die BZ schrieb 2012 kurz nach seinem Tod:
Der Hausrat und die persönlichen Schätze des verstorbenen Filmstars werden bei eBay versteigert.
Sein Leben steht in 95 Kartons in einem Keller in Nord-Charlottenburg. Berlins großer Schauspieler Vadim Glowna (1941–2012) hinterließ nicht nur unvergessliche Filme, sondern auch Büsten, Bilder, Tausende Bücher.
Doch keiner war da, der sich seiner Habe annehmen wollte, als er nach kurzer schwerer Krankheit im Januar offenbar einer Lungenembolie erlag.
Entrümpler Frank K. bekam den Auftrag, die Altbau-Etage an der Kantstraße auszuräumen. „Sein Sohn wollte alles einfach nur so schnell wie möglich leer haben und kam deshalb auf mich zu“, sagt er. Komponist Nikolaus (51), den Vadim Glowna während seiner Ehe mit Vera Tschechowa (72) adoptierte, ist der einzige Hinterbliebene der Leinwand-Legende. „Er hatte die Eigentumswohnung geerbt und wollte direkt verkaufen“, so der Entrümpler weiter. Dabei standen all die Herzstücke wohl im Weg: „Die Räume waren komplett voll mit diesen Sachen.“
Ein altes Akkordeon steht ebenso zum Verkauf wie ein neuwertiger Alukoffer. Das japanische Teeservice ist bereits weg. Frank K.: „Der Nachlass ist sehr gefragt.“ Die Tusche-Zeichnung einer Geisha – 150 Euro, 400 VHS-Kassetten – 150 Euro. Die Erinnerung – unbezahlbar.


Daraufhin statteten wir zwei Gänge tiefer Joachim Ringelnatz einen Besuch ab (deren Freu Muschelkalk weiter entfernt bestattet ist. Durch ihn hab eich diesen Friedhof erst kennengelernt bzw. über die Ringelnatz-Gesellschaft in Wurzen, mit der ich bei den jährlichen ALG-Tagungen regen Austausch pflegte un dim September 2019 auch einen Vortrag hielt über „Ringelnatz in Japan und Mori Ôgai im Muldetal“. Blumen und ein Gedicht ließen auf nach wie vor Verehrer schließen – für den Geburtstag im November war es noch zu früh. Bis zu diesem Tag sollte das Ringelnatz-Haus in Wurzen eröffnet werden, um das die Kolleginnen dort mit Herzblut gekämpft haben, sogar mit audio-Rundgang durch den Ort. Wie ich am Vortag erfuhr, hat die Denkmalpflege das nun vereitelt, die Nerven liegen blank.

Da hilft nur, den Kopf auf dieses Kisen zu legen:

Nichts geschieht

Wenn wir sterben müssen,
Unsere Seele sich den Behörden entzieht,
Werden sich Liebende küssen;
Weil das Lebende trumpft.

Aber wenn nichts geschieht,
Bleibt das Leben nicht einmal stehn,
sondern schrumpft.

Was heute mir ins Ohr klingt,
Ist nur, was Klage vorbringt.
Und was ich mit Augen seh
An schweigender Not, das tut weh.
Aller Frohsinn in uns ist verreist.

Und nichts geschieht. – Und der Zeiger kreist.
Joachim Ringelnatz


Am Ende der Treppen am Rondell kamen wir an dem gemeinsamen Ehrengrab von George Grosz und Theodor Däubler vorbei. Ersterer hatte großen Einfluss auf die japanische Kunst, in Däublers Gedichten tauchen Lotosblüten auf und verweisen auf den Einfluss des Japonismus, dem man wohl keinem der Künstler Ende 19. Anfang 20. Jh. absprechen kann.

An die Person mit dem japanischen Fächer

Wenn dein kalter Sagenblick
Grau in meine Seele bricht,
Packt mich heftig das Geschick,
Und ich halte selbst Gericht.

Meine Nacktheit siehst du dann.
Ich, ein frierend Bettelkind,
Schäme mich in deinem Bann.
Wittre, was wir beide sind.

Schlange, du gefällst mir nicht,
Zischle wild an mir vorbei.
Leicht war wieder der Verzicht.
Freuden flüchtet! Ich bin frei!
Theodor Däubler (1876 – 1934), deutscher Schriftsteller, Wegbereiter des Expressionismus

Am Rondell entlang wunderten wir uns über ein Grab mit quasi Marathon-Plaketten, das an die in Harz gegossenen Medaillen von Heidi Hetzer als Grabmal erinnerte und wunderten uns, ob das Kanji für Wasser auf einem Grab zwei Reihen dahinter wohl wirklich als eines der Elemente gedacht war oder man doch den Haken vergessen hat, der das Gaze in das Zeichen für Ewigkeit verwandeln würde. Keine Bange, wir sind nicht mit dem Rotstift über den Friedhof gegangen. Ist bei vielen Grabsteinen auch kaum möglich, denn so schön handschriftliche Signaturen aussehen – Außenstehende wissen nicht, wer dort liegen soll, schon gar nicht bei Nieselregen, wo man nur in Stein gehauene Namen u.a. nicht erkennen oder entziffern kann.


Unter einem Kirschbaum, der einen Besuch im Frühling empfehlenswert macht, befindet sich die als japanische Steinlaterne gestaltete letzte Ruhestätte des bekannten Ufa-Schauspielers und Charmeurs, Schwarm der Jugendjahre meiner Mutter und Frauenversteher in „Willy Schwabes Rumpelkammer“ Viktor de Kowa und seiner japanischen Frau Michiko Tanaka, eine rechten Femme fatal. Ich hatte das Grab im Vorübergehen entdeckt, als ich mit den Ringelnatzens dort war. Eh ich noch googeln konnte, welche Geschichten hinter dieser Mischehe im III. Reich stehen, hatte Dr. Krebs in der nächsten Ausgabe der OAG-Notizen einen 35seitigen, aufwändig recherchierten, äußerst vielschichtigen und interessanten Artikel dazu publiziert, den ich jedem nur empfehlen kann – und mit seinem Einverständnis hier anhänge.

Notizen1912_Feature_de-Kowa-Tanaka, Dr. Krebs

Weiter in Richtung See: Mein Lieblingsgrab auf dem Heerstraßen-Friedhof, wenn man das so sagen darf, ist wegen der Bücherstapel dieses (allerdings Foto vom November 2019, diesmal hinkte die Herbstfärbung wegen der andauernden Kälte hinterher):

Melvin Jonah Lasky war ein US-amerikansicher Publizist, der als Armeehitoriker der 7.USA-Army 1945 nach Deutschland kam und über die Befindlichkeiten, die er hier vorfand, sein

https://www.salonkolumnisten.com/straeflich-vergessen/

Biegt man in die Reihe dahinter ab, kommt man zum Grab von Kurt Götz, über dessen Aphorismen ich gern in der badewache schallend lache.

Inzwischen sind Sie, wie auch die Gruppe der DJG langsam erschöpft. Ich kann auch grad nicht weiter schreiben. Deshalb hier die kurz gefassten Bildimpressionen vom weiteren Rundgang, bei dem wir höchstens 1/5 des gesamten Friedhofs gesehen haben.

Geht man also vom Rondell aus den geraden Weg zum See, muss man aufpassen, weil der Weg schlechter wird, dafür liegen die Ehrengräber enger beieinander. Jemand sagte verärgert, die Terrakotta-Steine, die auf ein Ehrengrab hinweisen, deuten in Berlin wohl auf „ungepflegt“ hin. Berlin hat eben an Promis keinen Mangel und mit dem Nachruhm ist das so eine Sache…

Also, am Grab vom Schwarzwald-Klinik-Direktor Wussow kommt man an der Oppenheimer-Friedländer-Grabstätte

zu Paul Cassierer, ohne den die Kunstgeschichte Ende 19./Anfang 20. Jahrhundert nicht denkbar wäre, vor allem aber auch nicht die Japan-Kontakte, und seiner Frau Tilla Durieux, die nur für ein Semester Professorin war und im Februar, nicht im Januar verstorben ist. Auch Grabsteine können sich irren!.

Dieses Grab muss ich wohl nicht extra vorstellen, oder Dr. Müller-Lüdenscheidt??? (Und die Ente war doch meine!)

Wer bei Georg Kolbes Grab üppige Skulpturen erwartet hat, irrt:

Dem Künstler Günter Anlauf verdanken wir die vielen Bärenskulpturen im Berliner öffentlichen Raum.

Von hier aus kann man entweder Richtung Ausgang Arno Holz und Felix Holländer begrüßen

oder auf einen etwa 10 minütigen Rundweg um den Saukuhlensee begeben, der seinem Namen alle Ehre macht. am Eingang wird (nachts) vor Wildschweinen gewarnt.

Am Ende des Rundwegs müsste man nur von einen schmalen Weg auf einer freien Fläche links abbiegen und käme zum Ehrengrab von Paul Wegener, das schon von Weitem durch eine Skulptur auffällt: Der junge Buddha von einem Löwen begleitet weist den Toten den Weg ins Nirvana .

Die Figur ist eine Kopie, das Original wird in der Verwaltung verwahrt, und verweist auf Wegener als Kenner und Sammler ostasiatischer Kunst.

Hier schließt sich der Kreis, denn Paul Wegener und Victor de Kowa waren als Schauspieler befreundet, spielten gemeinsam auch in Propagandafilmen während sie Kontakt hielten zu Widerstandsgruppen. Wegener eröffnete am 7. September 1945 das Deutsche Theater wieder mit Nathan der Weise, seiner letzten großen Theaterrolle.

Wer auf vielen Gebieten unterwegs ist, die Biografien der Verstorbenen halbwegs im Kopf hat, für den ist jeder Grabstein wie eine Wunderkammer. Ohne einen gewissen Erfahrungs- und Wissenshintergrund ist solch ein Ort eben ein Garten voller Überraschungen. Nicht umsonst ist die deutsche Friedhofskultur in diesem Jahr (September 2020) zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden.
Ich werde meine Entdeckungstouren fortsetzen. Gedanken über eine Lebensspanne und an deren Ende machen jeden einzelnen Tag noch wertvoller, lebenssatt statt lebensmüde.
Und als Wortspielerei mit meinem Vornamen noch eine Frage: Was würden Sie in einen Koffer für Ihre letzte Reise hineintun? Religiöse Menschen bezeichnen sie als „Beati possidentes“ – glücklich Besitzende.

Und machen Sie sich keine Illusionen:
Nemo ante mortem beatus – Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu preisen!


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