Deru kui wa utareru – Nails that don’t bend – Stan GROSSFELD
Austellung mit Fotos und Texten des Pulitzer-Preisträgers Stan GROSSFELD, Koop. mit Japan Society New York, November 1997 bis Mai 1998
Während der Jugendweihereise mit meiner Tochter Karoline nach New York entdeckte ich 1997 in der Japan Society New York die Ausstellung von Stan Grossfield. Frau Katharina Belting sorgte dafür, dass die Ausstellung in der MOG gezeigt werden konnte und wir nur für die Transportkosten aufkommen mussten. Leider verfügte ich zum damaligen Zeitpunkt nicht über die Technik und Mittel, um einen Katalog herauszugeben.
In Zusammenarbeit mit der Japan Society in New York ist es gelungen, eine außergewöhnliche Fotoausstellung nach Berlin zu holen: Der Pulitzer-Preisträger und Mitherausgeber des Boston Globe Magazine, Stan Grossfeld, erzählt unter dem Titel „Nails that don’t bend“ Geschichten, die allem anderen als dem Bild des konformen Japaners entsprechen, welchem man schon in jungen Jahren zu verstehen gibt: „Nägel, die hervorstehen, werden eingehauen“. Grossfeld fand während seines zweimonatigen Japanaufenthalts bestätigt, was ihm derSchriftsteller und Wahljapaner Donald Richie – übrigens im April 1997 zu einer Diskussionsrunde über den japanischen Film Gast des Japanzentrums – mit auf den Weg gegeben hatte: „Just scratch the surface, and all the nails pop up!“
Statt des Klischees vom sich ständig verbeugenden Geschäftsmann im grauen Anzug begegnen uns hier Menschen, die anders sind, die sich mutig und ungeachtet aller Diskriminierungen engagieren, die ihre ganz eigenen Lebensauffassungen leben und verteidigen, auch wenn andere über die „Ausgeflippten“ nur den Kopf schütteln und ihren Familien ein Höchstmaß an Tolerenz abverlangt wird. Grossfeld porträtiert „die anderen Japaner“, die uns anrühren, die sich im Gedächtnis festsetzen, als fragten sie, wie es denn mit uns deutschen Nägeln steht, wie krumm oder gerade wir uns nach dieser Begegnung fühlen. Wer Exotisches erwartet, wird enttäuscht sein und ganz schnell auf sich und sein eigenes Angepaßtsein zurückgeworfen, das man nicht im fernen Japan lernen muß. Alle Menschen mit Humor und Lust auf Provokation erwarten diese „Nails that don’t bend“ noch bis Ende März in der Mori-Ogai-Gedenkstätte, Luisenstraße 39, 1. Stock.
Porträts der auf der Collage abgebildeten Personen
Ein Ainu-Führer im traditionellen Gewand am Ufer des Sees Akan, in Hokkaido.
Yayoi Kusama, eine der führenden Avantgarde-Künstlerinnen Japans, war immer anders. „Ich war ein unerwünschtes Kind und wurde von meinen Eltern nicht geliebt“, sagt sie in ihrem Atelier, eine Häuserzeile entfernt von der Tokyoer Nervenklinik, in der sie die letzten 20 Jahre verbracht hat. Seit ihrer Kindheit unter physischen und psychischen Problemen leidend, fing sie an, die Bilder ihres Geistes zu malen. „Meine Kunst ist obsessiv“, sagt sie. „All das zeigt meine Nahrungs- und sexuellen Zwänge.“ Kusama fand nicht viel Ermutigung. „Meine Mutter sagte: ‚Wenn Du Maler wirst, wirst Du Bettler.‘ Sie schlug mich fast jeden Tag, weil ich nicht gehorchte.“ Kusama sympathisierte auch mit dem Feind im 2.Weltkrieg. „Wenn Japan gewonnen hätte“, sagt sie, „wären wir unter einem Militärregime.“ Auf Anregung von Georgia O‘ Keefe verließ Kusama Japan, „Ich konnte in dieser Kultur nicht mehr atmen“, und zog nach New York. Sie veranstaltete ein Phallus- Festival mit unmißverständlich geformten, baumwollgefüllten Säcken an der St. Patricks Kathedrale, und bemalte nackte Körper in „happenings“, Anti- Vietnamkriegs-Protesten an der New Yorker Börse. Einem im vorigen Jahr erschienenen Artikel in der Zeitschrift „The New Yorker“ zufolge, hatte sie 1968 mehr Presse als Andy Warhol. Obwohl sie auch in New York Angstanfälle hatte, verschlimmerten sich diese doch, nachdem sie 1972 für immer nach Japan zurückgegangen war. „Ja, ich war sehr oft am Boden“, sagt sie, „aber nicht in New York. In Japan schätzte man meine Kunst-Philosophie nicht. Man betrachtete mich als Königin der Sex-Skandale.“ Mittlerweile wird ihre Arbeit wenigstens finanziell von der japanischen Regierung unterstützt. Im Juli wird Kusama eine Ausstellung im New Yorker Museum für Moderne Kunst haben.
Der barfüßige Steinzeitmensch ist in schlechter Stimmung. Das Autobahnamt der Präfektur Mie in Zentraljapan baut eine Straße vor seiner selbstgemachten Hütte. „Nein, ich mag das nicht“, sagt Miyozo Yamazaki und läßt seine Muskeln spielen. „In der Jômon-Zeit“, von 10000 bis 300 v.Chr., „gab es keine Straßen. Ich will Grass und Schlamm sehen.“ Er war nicht immer so. 34 Jahre arbeitete er in einer hiesigen Plastik-Fabrik. Aber als er mit 55 in Rente ging, hörte er auch auf, sich zu rasieren, ließ sein Haar wachsen und baute sich eine Hütte im Stil der Jômon-Zeit. Seine früheren Kollegen waren schockiert. „Sie waren überrascht“, sagt er, denn schließlich hatte ich 34 Jahre eine Krawatte getragen.“ Jetzt trägt er ein Hirschfell. Seit vier Jahren lebt er ohne Elektrizität. Er macht seine eigenen Steinwerkzeuge und Keramik aus Ton. Er ißt nur Gräser und Kastanien und Fische und Tiere, die er mit seinen primitiven Methoden fangen kann. „Ich liebe die Archäologie. Ich besitze einige Stücke aus der Jômon-Zeit. Ich will die gleichen Werkzeuge in der gleichen Weise herstellen, um das natürliche Leben tiefer zu verstehen.“ Von einem japanischen Fernsehsender wurde er als eine der sieben eingenartigsten Persönlichkeiten Japans eingestuft. Aber Yamazaki sagt: „Meine Lebensweise der letzten 10 Jahre macht anderen keine Probleme. Außer meiner Frau. Sie hat versucht, mich davon abzubringen. Sie sagte: ‚Die anderen Leute lachen über Dich und kritisieren Dich, also hör damit auf.“ Um seine Ehe zu retten, schläft er jetzt fünf Nächte in der Woche Zuhause. An den Wochendenden allerdings bleibt er in der Hütte. Trotzdem gibt es noch einige Probleme. „Ich bade, wann ich will, manchmal eben nur einmal im Monat – und darüber ist meine Frau ziemlich verärgert“, sagt Yamazaki. „Ich kenne den Spruch vom ‚vorstehenden Nagel‘, aber ich glaube nicht daran. Wenn man meinen Kopf reinschlägt, dann strecke ich ihn wieder raus.“
Der Pinguin duscht sich, hängt sich den Rucksack um, watschelt die 329 Stufen zum Fischmarkt, wo er eine Makrele ganz herunterschluckt und dann noch eine. So ist das Leben des 14jährigen Königspinguins Rara, der in einem gekühlten Raum unter der Treppe des Hauses der Nishimotos, in Shibushi, in Südjapan wohnt. „Rara ist wie mein erstgeborener Sohn“, sagt Yukio Nishimoto, ein Bauleiter, der auch eine Frau und zwei Töchter hat. Was macht ein Pinguin der in einem Haus, in einem Land lebt, wo der Walfang noch erlaubt ist, wo sich die Schildkrötenpanzer stapeln und auch Elfenbein noch immer verkauft wird? Nishimoto sagt, daß alles damit anfing, daß er einen ausgestopften Pinguin eines befeundeten Fischers bestaunte. Später fing sein Freund einen Pinguin als er zum Thunfang vor Australien und Südafrika war. „Als sie das Netz hochzogen, war darin Rara, schlimm verletzt am Schnabel und an einem Flügel“, sagt Nishimoto. „Mein Freund dachte, wenn er ihn zurückwerfen würde, müßte er sterben oder würde von Haien gefressen. So blieb der Pinguin an Bord, außer zu den Essenzeiten, an den Füßen mit Draht festgebunden. Drei Monate später, als das Schiff in Shibushi ankam, erhielt Nishimoto einen Anruf. „Mein Freund sagte: ‚Wenn der Pinguin stirbt, kannst Du ihn ausstopfen.‘ Er meinte, er würde es nicht schaffen. Ich sagte: ‚Ok‘, und wartete darauf, daß er stirbt.“ Aber Stück für Stück gewann der Pinguin Nishimotos Herz. „Ich kaufte mir Bücher über Pinguine und baute einen Kühlraum. Dann dachte ich, dass er sicher einsam ist und gab ihm einen Spiegel. Rara erholte sich schließlich. Nachdem er stark genug geworden war, erlaubte ich ihm allein zum Fischmarkt, einige Blocks von hier, zu gehen, um sich seine tägliche Ration von fünf Fischen zu holen, von denen er einige im Rucksack nach Hause trägt. Autos hielten an und die Leute fingen an, darüber zu reden. Dann kamen Filmteams selbst aus Australien. Aber Nishimoto lehnte es ab mit seinem Pinguin Geld zu verdienen. „Die Leute denken, wir bekommen Geld, aber wir bekom-men keinerlei Zuwendungen.“ Nishimoto fügt hinzu, daß Raras Rechnung auf dem Fischmarkt etwa 100 000 Yen also etwa 830 $ im Jahr ausmacht. Nishimoto macht sich jetzt Sorgen, weil Rara Schimmel in den Lungen hat und mit 14 langsam alt wird. „Wenn er stirbt, lasse ich ihn nicht ausstopfen“, sagt er. „Ich werde ihn hier in der Nähe begraben. Ich könnte es nicht ertragen, Rara ausgestopft zu sehen. Wir sind stolz, Raras Eltern zu sein. Außer ein-, zweimal während der Brutsaision, wenn er sich mit mir paaren will.“ („The Boston Globe Magazin“, March 23, 1997, Cover, S. 14-15, 18-19, 20)