Mori-Ôgai-Gedenkstätte Berlin / ベルリン森鷗外記念館・ベアーテ・ヴォンデ

Gutes ist am besten gleich getan (Zen wa isoge) – Suikô SHIMON und Jürgen BERNDT

Kalligraphien von Suiko Shimon zu japanischen Sprichwörtern, übersetzt von Jürgen Bernd, März bis September 2003

Gutes ist am besten gleich getan

Buchcover


Gutes ist am besten gleich getan


Gäste und Reiher sind am schönsten,
wenn sie sich erheben


Auch ein Affe fällt mal vom Baum

Für verliebte Augen ist eine Pockennarbe ein Lachgrübchen oder die japanischen Töchter des Alltags

Gutes ist am besten gleich getan
Buchtitel
„Wer leidenschaftlich liest, erfährt in der Regel, dass ein Buch seine erste Lektüre nicht übersteht. Und man erlebt diese Vernichtung als Täter. Denn der libidonöse Leseakt ist es, der die meisten Texte ruiniert. Und mag der heißblütige Leser, mag die rabiate Leserin auch noch einmal mit Anerkennung auf das zugeklappte Buch blicken, der nachgetragene Respekt ähnelt der Pietät, mit der man auf einen Sarg schaut: In beiden Fällen bleibt der Deckel endgültig zu. Umso rätselhafter jene Werke, die auch ein mehrfacher Leseexzess nicht zu vernichten vermag…“ (Georg Klein in LITERATUREN 1/2 II 2003 über Kafkas „Verwandlung“).

Mir geht es so mit dem 1992 bei edition q erschienen Band mit 100 Sprichwörtern aus Japan, einer geistreichen, humorvollen bibliophilen Kostbarkeit. Es gehört zu den Büchern, die ich im Regal nicht einreihe, sondern mit der Titelseite quasi „ausstelle“, die mich immer wieder verführen, ab und zu im Vorübergehen wahllos eine Seite aufzuschlagen und zu lächeln. Jürgen Berndt, der Herausgeber nennt Sprichwörter die „Töchter des Alltags“, für Herder waren sie „Spiegel der Denkart einer Nation“. Diese so andere Denkweise oder Volksweisheit Japans hat ihren Reiz, aber auch ihre Grenzen. Wie weit kann und sollte man diese Denkkultur aufbereiten, damit sie nachvollzogen und doch in ihrer Fremdartigkeit, in ihrer eigenen, authentischen Sprache belassen werden kann? Wie die in Japan tradierten und unseren durchaus ähnlichen Alltagserfahrungen in unseren Sprachschatz herüberholen, damit der Gedankenblitz auch hier funkt und dieselbe Freude an der Erkenntnis auslöst wie am anderen Ende der Welt?

Da gibt es zum einen die Beispiele, deren tieferer Sinn sich uns zunächst verschließt, weil er sich in Bildern ausdrückt, die wir vor unserem kulturellen Hintergrund nicht verstehen können, selbst wenn sich dann herausstellt, daß „mit einer Garnele einen Meerbrassen angeln“ soviel bedeutet, wie „mit der Wurst nach dem Schinken werfen“. Zumindest würden wir nicht vermuten, daß, wenn es „am Fuße des Leuchtturms dunkel ist“, jemand „den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht“. Der alte Streit der Übersetzer, ob man es nun „wörtlich“ oder doch lieber „sinngemäß“ übertragen soll. Für jeden, der vor die Qual der Wahl gestellt ist, sind „90 Meilen erst die Hälfte, wenn man 100 laufen muß“, besonders wenn man aus zwanzigtausend Sprichwörtern und geflügelten Worten diejenigen herausfiltern muß, die dem Leser auch hierzulande verständisvoll / wissend lächelnd das Leben erleichtern, getreu dem Motto Ôgais: „Hundertmal schiefgegangen, aber niemals aufgegeben“.

Die häufige Zahl 100 ist aber nicht nur mit dem Sprich-Wort verbunden, das Bild als ästhetischer Ausdruck fernöstlicher Weisheit macht die Sache erst zu einem runden Ganzen. Wir haben es hier quasi mit „Kulturtechnik“ aus einer Zeit vor der Erfindung dieses Begriffes zu tun. 100 Sprichwörter sind in beständigem, innigem Dialog mit 100 Kalligraphien der Meisterin Suikô Shimon. Die Kalligraphien geben den Sprichwörtern erst die bunte, sinnliche Lebendigkeit – dank der treffenden Übersetzung erfaßt man die Dynamik des Bildes tiefer. „Wer schön schreiben kann, schreibt auch schön mit einem schlechten Pinsel“.

Streng genommen handelt es sich hier nicht um „Kalligraphien“, kunstvolle unveränderliche bzw. wiederholbare Drucktypen, auch wenn der Begriff der Einfachheit halber benutzt wird. Eigentlich haben wir es hier mit Pinselspuren zu tun, die aus der Bewegung entstanden, auf den Wogen des Atems, aus dem Bauch heraus geschrieben oder gemalt sind bei völliger Konzentration auf das Wesen dessen, was ausgedrückt werden soll. Wenngleich es bei dieser Kunst letztlich nicht auf das Ergebnis ankommt, die Betonung eher auf dem Prozeß, dem Fließen liegt, sind diese einzigartigen inneren Bewegungsprodukte aus Schrift und Bild ein Genuß, selbst wenn man der umgesetzen Sprache nicht mächtig ist.

Um wieder auf die Zahl zurückzukommen: „Einmal sehen ist besser als hundertmal hören“ – die Orginalentwürfe der „Kalligraphien“ sind ab 20. April 2003 in der Mori-Ogai-Gedenkstätte ausgestellt. „Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg“, wir haben Mo- Fr von 10-14 Uhr geöffnet.
Der Übersetzer der Sprichworte und Gründer der Mori-Ogai-Gedenkstätte, Prof. Dr. Jürgen Berndt (1933-1993) wäre in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden.
(Gutes ist am besten gleich getan: 100 Sprichwörter aus Japan/ hrsg. und aus dem Japan. übers. von Jürgen Berndt. Kalligraphien von Suikô Simon.-Berlin: Ed.q, 1992, ISBN 3-86124-128-5)

"Die japanischen Töchter des Alltags" in Humboldt 6 2002/03, S. 14
„Die japanischen Töchter des Alltags“ in Humboldt 6 2002/03, S. 14

Die Sprache eines einzigen Pinsels

B. Weber Frage: Ich kann mich noch gut erinnern, wie Prof. Berndt (1933-1993) mich kurz nach der Wende frage, ob ich nicht jemanden kenne, der ein guter Kalligraph sei. Er hatte die Idee, ein bibliophiles Buch mit japanischen Sprichwörtern herauszugeben, das zu gleichen Teilen aus Übersetzung und Bild bestehen sollte. Ich antwortete spontan: “Einen nicht, aber eine!”

S. Shimon: Ja, wir hatten uns kurz vorher kennengelernt und bereits vereinbart, in der MOG Kalligraphie-Kurse anzubieten für Studenten.

Frage: Wie ging es dann weiter?

S. Shimon: Beim ersten Treffen war die Übersetzung noch nicht fertig, etwas mehr als die Hälfte. Wir haben uns ein paarmal getroffen und die weitere Auswahl gemeinsam beraten. Gleichzeitig kümmerte sich Prof. Berndt um einen Verlag und die nötigen Finanzen. Am Ende hatten wir 112 oder mehr Sprichwörter und es mußte wieder reduziert werden. Auch die Reihenfolge für das Buch festzulegen war nicht ganz einfach.

Frage: Wann begann Ihre eigentliche Arbeit?

S. Shimon: Als die Auswahl feststand. Japanische Sprichwörter sind tatsächlich als Sammlung allein in deutschen Drucktypen nicht so interessant, es fehlt ein ganz wesentliches Element. Auch hatte Prof. Berndt von vornherein keine hermeneutische wissenschaftliche Sammlung vor Augen, sondern ein schönes Bändchen, das zeitlos ist und den Betrachter unabhängig von Alter und sozialer Stellung fasziniert. Ich wollte auch, daß die Sprichwörter eine sinnliche Komponente bekommen, daß sie über die Hyroglyphen, die ja Bilder sind, erfaßt werden können. Vor allem in ihrem hintergründigen Humor. Diese Seite hat er gänzlich mir überlassen, er war für die Schönheit und Prägnanz der Sprache zuständig.

Frage: Und doch sind Ihre Kalligraphien nicht das, was man traditionell unter Pinselschriften versteht.

S. Shimon: Ich habe sehr wohl mit dem Pinsel geschrieben. Alle Kalligraphien sind sogar mit einem einzigen Pinsel gefertigt. Aber Sie haben recht, ich wollte mit meiner Kunst die humorvolle Realität dieser Volksweisheit übermitteln. Auch Deutsche, die des Japanischen nicht mächtig sind, sollten auf den ersten Blick die innere künstlerische Energie und z.T. auch den schwarzen Humor sinnlich erfassen und spüren können.

Frage: Traditionell kennt man doch entweder Pinselschrift oder Tuschmalereien. Ihre Bilderschriften wirken wie eine individuelle Kreation…

S. Shimon: In den traditionellen Zen-ga (Zen-Kalligraphien) haben wir minimalistischen Text als Pinselschrift, bei den Haiku stehen oft Kalligraphien und Tuschmalerei nebeneinander. Die Idee, Kalligraphien als Bild oder Bilder aus Schrift zu schaffen, kam mir hier in Deutschland während meiner Tätigkeit an der HdK. Die Distanz zu Japan durch die Realität der andern Kultur in Form des Berliner Alltags, ließ mich nach eigenen, ungeahnten Wegen suchen. In Japan habe ich an der Saga-Schule in Kyoto traditionelle Kalligraphie erlernt, hier in diesem multikulturellen Berlin habe ich die Freiheit gefunden meinen ganz eigenen Ausdruck zu suchen. Natürlich würde ich heute, nach über 10 Jahren wieder ganz anders malen…

Frage: Für den Betrachter wirken diese Pinsel-Schrift-Bilder ganz spielerisch-leicht, ein zentraler Begriff im Denken Mori Ôgais übrigens, scheinbar mühelos.

S. Shimon: Ja, auf den ersten Blick wirkt das so, aber wenn man genau hinsieht, dann haben all diese Bilder eine Rückseite, in der eine Tiefe verborgen ist, die sich einem erst bei näherer Betrachtung erschließt.

Frage: Handelt es sich hier um einen ständigen Dialog zwischen Text und Bild?

S. Shimon: Sicher, mein Entwürfe illustrieren nicht, sie vertiefen den Text, kommunizieren mit ihm. Manchmal entsteht in einem Bild ein Bogen von einem verspielten Kind bis zum ernsten Gesicht eines Erwachsenen. Oder hier, sieht das Zeichen für “Hundert” nicht aus wie ein Lastenträger aus der Edo-Zeit? Manchmal beginnt die Schrift ganz leicht und wird dann plötzlich gekrümmt, verläßt ihren scheinbar vorbestimmten geraden Pfad. Oder sehen Sie diesen langen, langen Strich in “Begegnung ist aller Trennung Anfang”. Man sieht hier regelrecht den über Jahre andauernden gemeinsamen Weg und genauso lange wird es dauern, bis die Trennung verwunden ist. Ein einziger Pinselstrich kann soviel bedeuten…
Schwierig war es bei “Wer einen kühlen Kopf und warme Füße hat, lebt lang“ den Kopf in das Zeichen für Fuß zu bekommen. Die eher bildhaften Tuschmalereien waren vergleichsweise weniger qualvoll. “Die Finsternis des Geistes” dagegen war eine schwere Geburt.

Frage: Wie lange haben Sie an den Entwürfen gearbeitet?

S. Shimon: Ungefähr ein Jahr. Zwischenzeitlich bin ich für drei Wochen nach Japan zurückgekehrt, habe meinen Berliner Alltag mit Familie hinter mir gelassen, in der Stille eines Tempels in der Nähe des Awara Onsen meditiert und dann fünf Tage und Nächte wie besessen gearbeitet. Danach lagen etwa 80% vor. Den Rest habe ich in Berlin fertiggestellt.

Frage: Wieviele Entwürfe waren denn jeweils notwendig?

S. Shimon: Ganz unterschiedlich. Mal klappte es beim ersten Wurf. Wenn nicht, dann habe ich immer wieder angefangen, manchmal 3-5 Mal.

Frage: Woher wissen Sie, welches am Ende das richtige, ultimative Pinsel-Schrift-Bild ist?

S. Shimon: Das weiß man einfach. Arbeit und Herz und Atem müssen eins sein. Bei misslungenen Versuchen sieht man sofort, dass das Herz nicht dabei war. Manchmal verändert auch der rote japanische Namensstempel ein Bild radikal. Mal ist er der i-Punkt und ein andermal entstellt er es.

Frage: Das heißt, es existieren nicht 100 sondern nahezu 300 Kalligraphien. Was ist aus den anderen geworden?

S. Shimon: Das halte ich wie die japanischen traditionellen Keramikkünstler. Sie schaffen manchmal hunderte von Gefäßen, um eins zu behalten. Der Rest wird Scherbe oder geht, wie bei mir, im Feuer auf…

Die Fragen stellte Beate Wonde.


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