Das historische Nara aus der Sicht japanischer Schüler – Preisgekrönte Schülerzeichnungen
in Zusammenarbeit mit der „Stiftung zur Förderung des kulturellen Erbes der Stadt Nara“
16.8. bis 2.11.2001
Denken Sie bitte an irgendein historisches Gebäude, an dem Sie heute vorbeigekommen sind: Können sie sich noch an das Dach erinnern? Oder haben Sie das gar nicht bewußt wahrgenommen?
Auf den ab 17. August in der Mori-Ôgai-Gedenkstätte ausgestellten Kinderzeichnungen aus Nara fallen einem sofort die überdimensionalen, schiefen Dächer mit den bunten Ziegeln ins Auge, als bestünde ein japanischer Tempel vornehmlich aus einer überwältigenden Dachkonstruktion. Ausgerechnet die kleinen Menschen, die eigentlich von unten auf die Welt schauen, haben diesen Draufblick gewählt, nehmen das Oben besonders aufmerksam wahr, würdigen mit ihrem anderen Blick auf die Welt jeden Dachziegel, geben auch scheinbar Nebensächlichem einen Raum in ihren Zeichnungen und scheuen sich nicht, das Wesentliche knallig in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Kinderzeichnungen sind erlebte Geschichte, ohne deren Schwere, ohne das Moos der Jahrhunderte. Schüler aus Nara erleben und zeichnen ihre Geschichte: Alles ist im Fluß, in Bewegung, keine Linie gerade, aus allem strahlt die Freude an warmen Farben. Immer wieder auch der Blick in die offenen, veränderbaren Räume im Innern, Alltagsgegenstände, die auf uns exotisch wirken, wie Papierlampen oder eine vor einem Laden geparkte rote Rikscha. Eingefangene Momente der Betrachtung, die nun nur noch in diesen Zeichnungen existieren und längst vorüber sind, wie die üppige Flora der Jahreszeiten im Umkreis der Tempel.
Die „Stiftung zur Bewahrung der Kulturgüter der alten Kaiserstadt Nara“ ist 1992 ins Leben gerufen worden. Sie fördert die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt, ist beteiligt an der Restaurierung und Verwaltung einzelner historischer Bauten, vor allem aber will sie deren Geschichte in das Bewußtsein der heutigen Menschen zurückbringen. So werden Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen, Vorträge u.a. in historischen Gebäuden veranstaltet, vor allem für das jüngere Publikum. Einmal im Jahr gibt es einen Zeichenwettbewerb für Schüler. Sie ziehen gemeinsam hinaus ins Freie, malen vor Ort und halten so ihre Geschichte lebendig, setzen sich mit ihrer Kultur und Tradition auseinander. Im letzten Jahr haben sich 128 Schüler an diesem Wettbewerb beteiligt. 75 Arbeiten davon wurden in die engere Wahl gezogen. Die besten 19 Zeichnungen von Schülern im Alter von 6 bis 14 Jahren waren Anfang 2001 im Rathaus von Nara ausgestellt und sind nun in Berlin in der Mori-Ôgai-Gedenkstätte zu sehen.
Mori Ôgai (1862-1922) weilte in seinen letzten Lebensjahren als Direktor des Kaiserlichen Hofmuseums häufig in Nara und hat den seinerzeit bedauernswerten Zustand ebendieser historischen Bauten in seinen „50 Gedichten aus Nara“ festgehalten.
Wer sich also über den Umweg Japan anregen lassen möchte, auch Berlin einmal mit anderen Augen zu sehen, sollte sich den fremden Blick nicht entgehen lassen.