… wie klein dagegen/war doch all mein Kummer / bevor ich dich gekannt
Kalligraphien zu der japanischen Gedichtsammlung aus dem 13. Jahrhundert “Hundert Gedichte von hundert Dichtern”, 23.10.2008 bis 30.3.2009
Kalligraphien zu der japanischen Gedichtsammlung aus dem 13. Jahrhundert “Hundert Gedichte von hundert Dichtern”, 23.10.2008 bis 30.3.2009
Es ist ein merkwürdiges, vielleicht sogar einzigartiges kulturgeschichtliches Phänomen: Millionen von Japanern vergnügen sich auch heute noch zum Neujahrstag im Familien- und Freundeskreis am Spiel mit den „Utagaruta“, den zweihundert „Gedichtkarten“. Der Spielleiter hat hundert, mit den stilisierten Porträts des jeweiligen Dichters geschmückte Karten vor sich und beginnt ein Gedicht vorzutragen. Die Mitspieler lauschen gespannt, den Blick auf die vor ihnen ausgebreiteten anderen hundert Karten mit dem Unterstollen der Gedichte gerichtet. Wer am schnellsten die rezitierten Anfangssilben aus dem Gedächtnis fortsetzen kann und die entsprechende Karte mit den letzten Gedichtzeilen entdeckt, hat die Karte gewonnen. So bestimmen nicht Glück oder Geschicklichkeit das Spiel, sondern, verbunden mit einem guten Reaktionsvermögen, genaue Kenntnisse der „Hyakunin isshû“, der „Hundert Gedichte von hundert Dichtern“.
Diese kleine Sammlung von „Waka“, „japanischen Gedichten“, die lediglich aus 31 Silben bestehen und gleichsam als Verkörperung japanischer höfischer Poesie überhaupt zu gelten haben, entstand vermutlich ausgangs des ersten Drittels des 13. Jahrhunderts. Zugeschrieben wird sie Fujiwara no Teika (1162-1241), einem der bedeutenden Kritiker japanischer höfischer Dichtkunst. In einer Phase tiefgreifender sozialer und geistig kultureller Wandlungen bekannte er sich zu den Traditionen des untergehenden höfischen Zeitalters mit seinen glanzvollen literarischen Leistungen … Im Unterschied zu den vielen großen, auf kaiserliches Geheiß entstandenen Lyrikanthologien … ist sie von keinerlei Rücksichtnahmen geprägt und im Wesentlichen eine — sehr persönliche — Blütenlese aus einem riesigen lyrischen Korpus, entstanden in einem halben Jahrtausend …
Als wär’s des Mondes letztes Licht am frühen Morgen
Hundert Gedichte von hundert Dichtern aus Japan
„… wie klein dagegen
war doch all mein Kummer
bevor ich dich gekannt“
Unter dem Motto dieser Zeilen von Chûnagon Atsutada haben sich die Kalligraphie-Schüler der Klassen von Frau Suikô Shimon
Mathias Anders, Timo Bieber, Wolfgang Büchert, Veronika Ellert, Annett Kabbe, Andrea Klann, Klaus Krämmer, Frank Merten, Yû Ogasawara, Lydia Schauß und Yuka Sugiyama
seit 2007 in wöchentlichen Übungen mit den „Hundert Gedichten von hundert Dichtern“ auseinandergesetzt und sie über den Pinsel gleichzeitig verinnerlicht wie für uns in ihrer individuellen Handschrift sichtbar werden lassen.