Mori-Ôgai-Gedenkstätte Berlin / ベルリン森鷗外記念館・ベアーテ・ヴォンデ

Ito no tawamure – Fadenspiele – YAMASHITA Tamiko

Mai bis Oktober 1998, dazu: „Kaoru kaze“ – einwöchige Ikebana-Ausstellung


Fadenspiele Textilkunst von Yamashita Tamiko

Yamashita Tamiko hat sich nach ihrem Studium an der Musashino-Hochschule in Tokyo im Jahr 1964 und ihrem Studium an der Tokyo Mode-Akademie im Jahr 1971, dem schließlich ein Studium an der Hochschule der Künste in Berlin in den Jahren 1975 bis 1977 folgte, über einen langen Zeitraum mit der künstlerischen Gestaltung textiler Materialien befaßt und ihre Werke in zahlreichen Ausstellungen in Deutschland, den Niederlanden, Ungarn, Polen und Italen vorgestellt.


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In ihrer Arbeit steht Frau Yamashita in einer langen Tradition japanischer Textilkunst. Werfen wir einen kurzen Blick auf diese Geschichte. Die Kunst des Webens kennen wir bereits in der ältesten Epoche der japanischen Geschichte, in der Jômon-Zeit, auf deutsch, der Schnurmuster-Epoche, deren erste Anfänge in die Zeit vor vielen tausend Jahren zurückgeht. In der nachfolgenden Yayoi-Zeit, jener Epoche also, die mit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert begann, finden wir in Japan, aus China importiert, die ersten Webstühle. Im japanischen Mythos betätigt sich die Sonnengottheit als Weberin, indem sie für eine über ihr stehende Gottheit, deren Name uns nicht genannt wird, „Götterkleider“ (kamizo)webt. In den folgenden Jahrhunderten sollten es immer wieder Impulse vom chinesischen Festland sein, die für die Entfaltung der textilen Kunst in Japan maßgeblich wurden. Dazu gehörten viele Einwanderer, die ihre Kunst vom Festland mitbrachten und sich in eigenen Berufsgruppen der Weber, Färber oder Seidenverarbeiter organisierten.

Der Buddhismus spielte eine eminente Rolle für die Entwicklung textiler Kunst, da das Zeremonialwesen hohe Anforderungen stellte. Einen Eindruck von den ersten Höhen der Entfaltung textiler Kunst können Sie in der Stadt Nara im Shôsôin des Tempels Tôdaiji betrachten. Sie finden künstlerische Werke aus Hanf, Chinanessel, aus dem Bast der Linde, der Glyzinie, des Papiermaulbeerbaumes und natürlich aus Seide. Seit dem 15. Jahrhundert kommt auch Baumwolle hinzu.

Einen Eindruck vermitteln auch die großen Bildrollen, wie z.B. die Bilderrolle zu den „Geschichten vom Prinzen Genji“, dem ersten Roman der Weltgeschichte, der vor tausend Jahren geschrieben wurde. Nach einer Zeit des Rückzugs auf japanische Traditionen zwischen dem 9. bis 12. Jahrhundert finden sich im 13. Jahrhundert wieder starke chinesische Impulse. Man lernte von China den Umgang mit Gold- und Silberbrokaten, Seidendamasten und ähnlichem. Schließlich ist es auch das Noh-Theater mit seinen prächtigen Gewändern, das die Textilkünstler zu Meisterwerken herausforderte.

Nachdem Japan sich nach der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Westen geöffnet hatte, gehen, erstmals im Jahr 1872, führende japanische Textilkünstler zum Studium nach Europa. Einerseits werden moderne Techniken wie der Jacquart-Webstuhl eingeführt und schließlich in Japan selbst gebaut, andererseits wird an überkommenen Web- und Färbetechniken, etwa am Handwebstuhl oder an den alten Pflanzenfarben, an alten Mustern und Ornamenten festgehalten. Übrigens bleibt Kyoto mit seinem Weberviertel Nishijin das Zentrum der japanischen Textilkunst. Zu erwähnen sind z.B. die Tapisserien, wie der berühmte Schmetterling-Bildteppich aus Brokat von Date Yasuke V. oder der Gobelin aus gemustertem Brokat mit einer „Jagdszene am Berg Fuji“ von Kawashima Jimbei oder Kawashimas Gobelin „Die Rückkehr des Kolumbus“.

Gegen diese bedeutenden Werke japanischer Textilkunst ist z.T., und gewiß nicht ganz zu unrecht, der Vorwurf des Historismus erhoben worden. Erste Impulse in gegensätzlicher Richtung schafft die art nouveau, die mit einer gewissen Zeitverzögerung in Japan wirksam wird. Für sie stehen die Namen Fukuchi Fukuichi oder Ide Umatarô. Heute finden wir in der japanischen Textilkunst ein breites Spektrum ästhetischer Strömungen und Schulen, die für die hiesige Kunstszene als bereichernde Elemente von Bedeutung sind, insbesondere dann, wenn Sie es verstehen, Elemente der japanischen Traditionen mit solchen der westlichen Moderne zu verbinden und zu Aussagen gelangen, die uns gedanklich weiterführen.

Letzteres trifft ganz sicherlich für das Werk von Yamashita Tamiko zu. Was sind nun ihre Aussagen? Ich möchte aus ganz persönlicher Sicht zwei Dinge ansprechen, die mir besonders gut gefallen.

Da ist zum einen das alte Motiv des Seiles. Das Seil, japanisch nawa, steht, wie vielleicht auch die deutschen Gäste wissen, in der Tradition der japanischen Volksreligion, des Götterweges. Sie finden es als sogenanntes „Bannseil“ (shimenawa) insbesondere vor Götterschreinen. Wozu ein Seil? Die einheimische Religion Japans, die wir etwas mißverständlich Shintô, Götterweg, nennen, lebt aus der Erfahrung der Naturzerstörung, die mit der Anlage einer großen Reiskultur über weite Strecken des Landes seit über zweitausend Jahren unvermeidlich verbunden war. Die Erfahrung sagt: Es muß Räume des Heiligen geben, dessen, was unter keinen Umständen verletzt werden darf. Das sagen z.B. die Seile, die Sie in Japan um einen Baum gewunden sehen. Dieser Baum ist heilig. Die Zivilisation darf ihn nicht antasten. Wenn ich die Seile Yamashita Tamikos sehe, denke ich, daß wir sehr viel Grund haben, in einer Welt, die in ihrem Bestand gefährdet ist, Seile zu spannen, Zurückhaltung zu üben, enryo, um ein weiteres japanisches Wort gebrauchen.

Ebenfalls gefallen mir die Fächer. Fächer erlauben ihren Trägern, einen Raum der Diskretion, des für sich Seins zu schaffen, indem ich mich hinter den Fächer zurückziehe. Wir leben in einer massenmedialen Epoche, in welcher weniges so sehr am Platze zu sein scheint wie Diskretion. Coming out lautet das beherrschende Motiv der Massenmedien, jeder spricht über alles, und ganze europäische Königshäuser und ihr massenmediales Publikum spielen dieses Spiel des Aufgebens von Begrenzungen mit, um ab und zu über sich selbst tief zu erschrecken. Mir scheint, daß unsere modernen „informatisierten Gesellschaften“, wie sie sich nennen, nicht nur Öffentlichkeit benötigen, diese soll nicht in Frage gestellt werden, sofern eine humane Politik ihrer bedarf, sondern auch Fächer, am besten so wunderschöne, wie Yamashita Tamiko sie geschaffen hat, Fächer als Signale für die Legitimität des Privaten, als Hinweise auf die Berechtigung des Fürsichseins, des sich nicht dem anderen Aufdrängens. Die Freunde Mori Ôgais unter Ihnen merken, daß ich hier auch ein Motiv des Dichters anspreche.

Die Kultur Japans hat uns vieles zu lehren. Seil und Fächer, achtungsvolle Distanz und Diskretion gehören dazu.

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"Textile Fächer und andere Spielereien - eine Japanerin in Berlin" in Humboldt 9 1997/98, S.10
„Textile Fächer und andere Spielereien – eine Japanerin in Berlin“ in Humboldt 9 1997/98, S.10


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