30 Jahre Mauerfall mit Journalisten aus Lateinamerika
Ich sollte neue Tags einrichten. Meine Beziehung zu Lateinamerika, zu peruanischen Theaterleuten, allen voran Carlos Cueva von den „Quattro Tablas“, mein Interesse an der Arbeit von Don Pedro im Regenwald, meine Liebe zu Iquitos u.v.a.m. sind auf dieser Homepage noch gar nicht vorgesehen. Sie steht ja auch eher für den dienstlichen Bereich im weitesten Sinne, der mit dem nährkommenden Ruhestand immer weniger wird, während der private oder halbprivate zunehmen.
Eigentlich ist für mich und viele meiner Freunde der 4. November der eigentliche Tag, den es 30 Jahre später zu feiern gibt. Deshalb wollte ich an den Alex, aber es goss in Strömen, war dunkel … den 4.11. 1989 hatte ich anders in Erinnerung. Vielleicht gut so, mich hat zwar interessiert, was die Performance „Panzerkreuzer Potemkin“ ist, von der ich im Theaterhaus Mitte gehört hatte, doch häufig ruft die Sicht einer jungen Generation auf die Zeit, deren Zeuge man noch ist, ambivalente Gefühle hervor. Vor allem, wenn man sieht, wie junge Leute sich die offizielle Lesart, die durch die Medien und alle Ansprachen geistert, zu eigen gemacht haben, ohne jeglichen Zweifel. Eine Lesart, in der ich mich selten wiederfinde. Um so wichtiger ist es, eine zweite Meinung zu hören und zuzulassen.
Dafür bot sich am 7. Dezember in der Kremmener Straße Gelegenheit. Das Goethe-Institut hat mich gefragt, ob ich für einen Austausch mit 9 lateinamerikanischen Journalisten zur Verfügung stünde und ich freute mich auf diese ungewöhnliche Erfahrung. Die Pressevertreter weilten auf Einladung des Auswärtigen Amtes in Berlin. Hätte sich NHK gemeldet, weil die MOG schließlich in beiden Gesellschaftssystemen existiert hat und es darüber viel zu erzählen gäbe, hätte es mich nicht gewundert. Aber die japanische Presse ignoriert mein Refugium beständig, trotz Einladungen und regelmäßigen Infos. Den Vorwand für den einzigen Grund, der sie wieder auf den Plan riefe, werden wir nicht geben. Also tummele ich mich auf der anderen Seite der Erdkugel.
In der Kremmer Str. habe ich als Studentin gewohnt. Parterre, ein Zimmer mit Ofenheizung, vor dem Fenster ging es in den Keller, eine kleine Küche mit Blick auf Brandmauer und Mülltonnen, Außenklo unter der Treppe. Und ich war noch so glücklich, endlich einen eigenen Unterschlupf zu haben! Was haben wir in der Enge und mit zwei Flammen alles gekocht, dabei diskutiert oder miteinander gelernt!
Auf der anderen Straßenseite war schon grenznahes Gebiet. Da durfte man nicht rein. Die dort Wohnenden mit Sondergenehmigung brauchten auch eine für ihren Besuch. Jetzt konnte ich das Haus frei betreten, fuhr sogar mit Fahrstuhl nach oben und hatte vom Balkon der Gastgeber einen weiten Blick über den Mauerstreifen. Nur die Baustelle, die sich über die halbe Straße erstreckte, wie nicht nur hier in Berlin, erinnerte an Absperrungen. Ansonsten wirkte es auf mich wie ein ziemlich gentrifiziertes Viertel. Schicke Fassaden mit relativ wenig Straßen-Leben bis auf geschmackvollen Cookies-Laden und eine Weinladen eher Immobilienbüros. Womöglich trügt dieser Blick ebenso wie der der Gastgeberin, welche von der DDR vor allem die graue Fassade wahrnahm.
Wie auch immer, wir hatten einen anregenden, diskursiven Abend mit den beiden Gastgebern, einem jungen Paar, einer gelungenen Ost-West-Liebe, die kreativ ihren eigenen Weg gehen.
Alle haben so eifrig diskutiert, dass man sich einen Moderator wünschte, um auch mal ausreden zu können. Dann hätte man gemerkt, dass ich für ein anderes Lebensprinzip in der DDR stehe, nicht für Mauertote und Fluchtversuche, nicht für Familien, denen wegen der Ausreise die Kinder weggenommen wurden – sondern für eine andere Art auszureisen, nämlich durch Bildung, Lernen, Studium, und dass man auch hinter der Mauer ein selbstbestimmtes Leben führen konnte bzw. dass die „Wende“ nicht so etwas war wie einfach mal durch eine kulturelle Drehtür zu gehen, sondern ein echter Umbruch, der eine enorme Anpassungsleistung erforderte, an ein anderes System, eine andere Sprache – ich musste sogar das politische Japanisch neu lernen -, ganz abgesehen von den Verträgen, den Rechtsvorschriften, all den endlosen Formularen in einem Amtsdeutsch, dass ich bis heute kaum verstehe. Nach 30 Jahren tritt die Generation, die wie ich 1989 in den besten Frauen- bzw. Männerjahren war, ab – in den Ruhestand. Mal schauen wie die nächste Generation mit den Herausforderungen der nächsten 10 Jahre umgeht und wie es nach 40 Jahren geeintem Deutschland aussieht.
Meine Bilanz ist gut, ich habe meinen Lebenstraum erreicht. Das durchweg positive Feed back der Gäste der Gedenkstätte macht die fehlende äußere, offizielle Wertschätzung wett, auch die Ungleichbehandlung. Die Umstände dieses Weges hatte ich mir anders vorgestellt. Auf die hätte ich gern verzichten mögen. Da musste man schon einen langen Atem, Beharrungsvermögen und die Fähigkeit zu Seitenwegen und Haken haben. Ich hoffe, davon hat sich etwas vermittelt in der Tischdebatte.
Hier der Beitrag der jungen Argentinierin Tags Gadea Lara:
https://www.redaccion.com.ar/berlin-30-anos-despues-del-muro-la-reconstruccion-en-la-voz-de-sus-protagonistas/
Teilnehmer
Herr Marcelo Javier Birmajer
ARGENTINIEN
Schriftsteller, Redakteur und Dozent
Diario Clarín
Sociedad Hebraica Argentina
Buenos Aires
1
Frau Tais Gadea Lara
ARGENTINIEN
Kolumnistin und Autorin
Canal de la Ciudad Buenos Aires
Newsletter SUSTENTABLES, Red/Acción
Buenos Aires
2
Herr Vladimir Flórez Flórez
KOLUMBIEN
Kolumnist und Karikaturist
Revista Semana
Periódico El Tiempo
Bogotá
3
Frau Caroline Kloesel
MEXIKO
Community Manager
Auswärtiges Amt
Centro Alemán de Infomación para la Latinamérica (CAI)
Mexiko-Stadt
4
Frau Mercedes Barriocanal de Acosta
PARAGUAY
Journalistin
Televisión de Nacionalidad Paraguaya
Canal Telefuturo
Asunción
5
Frau Lucía Sapena Bibolini
PARAGUAY
Journalistin
Periódico Espectáculos
TV RPC Canal 13
Asunción
6
Herr Leonardo Diego Haberkorn Manevich
URUGUAY
Journalist
Associated Press
El Observador
Lagomar